Rudolstädter Rentnerlehrling
Matthias Biskupek feiert 70. Geburtstag und arbeitet trotz Krankheit an
neuem Buch
„In Bad Berka hat man mir feine schwarze und sehr gerade Striche auf
Bauch und Schulter gemalt“, lesen wir am 18. September. „Derlei
Kriegsbemalung dient heute dazu, dem Feind, wer auch immer das ist,
anzuzeigen, dass man zum Kampfe bereit ist.“
Matthias Biskupek kämpft seit Längerem gegen den Feind im eigenen
Körper, und nicht nur wenn er in der Klinik „an die lange
Krebsbekämpfungsleine gefesselt“ ist, hat er Lesebrille, Notizheft und
Stift dabei. Darf man eine Eloge zum 70. Geburtstag eines erfolgreichen
Autors so beginnen?
Ich meine ja. Biskupek nimmt auf seinem Blog, den er traditionell
Tagebuch nennt, seine Leser täglich mit auf die Reise durch die
Zeitgeschichte, blickt mit ihnen auf eine wechselhafte Vergangenheit und
ficht die eine oder andere Polemik aus. Wer will, kann Lust und Leid,
Freud und Schmerz mit ihm teilen.
Schwer sind jene Tage, an denen steht: „Heute kein Tagebuch“ – für ihn,
der Chemo oder Bestrahlung über sich ergehen lassen muss, und für uns,
die wir nichts darüber erfahren, was die literarische Welt im Innersten
zusammenhält. Keiner kennt so viele Mitglieder der schreibenden Zunft
wie Biskupek. Kaum, dass er mal einen Geburtstag oder Todestag vergisst
und nicht an Autoren, Verleger und Maler erinnert, die vom großen
Feuilleton übergangen werden.
Blick aus der Thüringer Provinz in die Welt
Seine Memoiren hat er längst verfasst, verteilt auf gut 40 Bücher in
fast 50 Schaffensjahren. Denn Biografisches und Zeitgeschichtliches
liefern ihm den Stoff für seine manchmal skurrilen, meist aber
heiter-melancholischen Geschichten. Auch wenn an erster Stelle sein
Schelmenroman „Der Quotensachse“ und das aus 66 Jahresringen gewachsene
Lebenslogbuch „Der Rentnerlehrling“ zu nennen sind, mag man klangvolle
Titel wie „Wir Beuteldeutschen“, „Der Bauchnabel und andere schöne
Mittelpunkte einer Reise zu zweit“, „Horrido, Genossen!“ oder „Das
Fremdgehverkehrsamt“ nicht missen. Und da man bei einem solchen Jubiläum
nicht umhin kommt, den Werdegang des Dichters zumindest anzureißen, hier
die wichtigsten Stationen: Geboren in Chemnitz und aufgewachsen im
sächsischen Mittweida, lernte Biskupek Maschinenbauer, studierte
Kybernetik und stieg zum Systemanalytiker mit feingeistigen Neigungen
auf. Sein Weg zum freiberuflichen Schriftsteller führte über
Poetenseminare, das Rudolstädter Theater – siehe: „Eine moralische
Anstalt“ – und das Geraer Kabarett „Fettnäppchen“, für das er textete.
Aus der Provinz blickt er in die Welt.
Das haben auch Goethe und
Schiller nicht anders gemacht. Allerdings leistet sich Biskupek eine
hauptstädtische Absteige, um unter anderem seine Kontakte zur
Satirezeitschrift „Eulenspiegel“ zu pflegen, für die er seit Jahrzehnten
Bücher rezensiert, wobei er mit Lob und Schmäh nicht geizt. Zuweilen
korrespondierte das mit den noch um einen Zahn schärferen Filmkritiken
der 2017 verstorbenen legendären „Kino-Eule“ Renate Holland-Moritz,
deren Anekdoten und Briefe er jüngst zusammen mit Reinhold Andert
herausgegeben hat. Den Siegeszug des Bandes „Du mit Deiner frechen
Schnauze“ konnte Corona zwar nicht stoppen, doch fielen etliche in
Thüringen geplante Lesungen der Pandemie zum Opfer.
Band über das literarische Leben seiner Heimatstadt
Biskupek nutzte die Zeit, um über das literarische Leben Rudolstadts zu
recherchieren. Was es heißt, körperlich geschwächt zwischen eng
gestaffelten Therapien ein solches Werk, das tatsächlich nur er
schreiben kann, zu Ende zu bringen, ist für einen Außenstehenden kaum
nachvollziehbar. Seinen Mitstreitern im Thüringer Literaturquartett
(TLQ) las der Autor bei einem gemeinsamen Benefizauftritt in
Schmalkalden bereits daraus vor. Der Bogen spannt sich vom Hausheiligen
Friedrich Schiller über Arthur Schopenhauer, Hans Fallada und Karl Dietz
bis zu Inge von Wangenheim, Harald Gerlach und Steffen Mensching –
Buchpremiere ist am 1. Dezember.
Zuvor aber, heute sowie am Samstag bei einer Feierstunde im Rudolstädter
Rathaus, gilt es, einen engagierten, streitbaren und unermüdlich
schaffenden Schriftsteller zu würdigen. Einen, der sich einmischt und
für Demokratie, Toleranz und eine aufrichtige Erinnerungskultur
eintritt, auch in dieser Zeitung, und längst zum Vollblutthüringer
konvertiert ist, was sich leicht anhand seines Bier- und
Bratwurstkonsums beweisen ließe, oder – um mit Biskupek zu sprechen –
vom Quotensachsen zum Rudolstädter Rentnerlehrling.
Frank Quilitzsch, TLZ, 22.10.2020