Matthias Biskupek in "triangel", Heft 12-2007


Matthias Biskupek in "triangel", Heft 12-2007
Wie ist der deutsche Schnabel gewachsen?
Zum Kabarett-Essay "Deutschbayerisches Sächsisch"
Für die Sendung am 7. 12. 2007 auf MDR-Figaro

Dialekt im Kabarett ist das einfache, das einfach unaussprechlich ist. Wir hören die verschiedenen Spötter und Spökenkieker aus allen deutschen Landen in unterschiedlichsten Sprachfärbungen plappern und denken: Muß man so reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist? Geht’s auch weniger sächsisch? Vielleicht nicht gar so niederbayerisch? Warum platt, wenn wir doch alle hochdeutsch zu verstehen glauben?
Ein wunderbares Erbe unserer föderalen deutschen Vergangenheit ist jenes vielgestaltige Deutsch, das Humoristen und Rassisten gleichermaßen reizt: der Nachbar schwätzet immer viel damischer als ich. Unsere deutsche Dialektvielfalt, in die wir Schweizer und Österreicher großdeutsch mit einbeziehen, ist ein europäisches Alleinstellungsmerkmal - wenn wir von Italienern absehen, deren Commedia dell’ arte oft nur deshalb so komisch war, weil der Venezianer den Genuesen missverstand, beide den Florentiner sowieso überhörten und alle drei den Römer niemals begriffen. Wir können uns Theorien zusammenbasteln, welche Mundart welchem Witz entspricht, warum das patzige Berlinisch viel langsamer, als das määrische Sächsisch sein kann und der Bayer seinen eingeborenen Anarchismus und Partikularismus in den grantelnden Grenzen seiner Sprache pflegt. Wir könnten über eine imaginäre Nord-Süd-Pathos-Grenze quer durch Deutschland reden, die ungefähr dort sein könnte, wo einst die Grenze zwischen Oberdeutschem und Niederdeutschem verlief und sich heute das Mitteldeutsche breitmacht. Im Norden ist man geneigt, etwas für lächerlich zu finden, was im Süden noch Ehrfurcht gebietet. Dafür erhalten die herumreisenden Kabarettisten im süddeutschen Raum viel heftigeren Beifall, als im Norden, obwohl doch die Nordländer hernach mitteilen, sie hätten selten so jelacht, wie gerade heute.
Sind jene Gegenden, wo es noch soziale und vor allem religiöse Disziplin gibt, wie Passau und Oberschwaben, nicht geradezu Brutstätten für Nestbeschmutzer, für Querköpfe und Schandschnauzen? Fragen, die wir wohl nur beantworten können, wenn wir uns nacheinander ausgesuchte Proben anhören, von den Humoristen und Diseusen aller Herren Dialektländereien: Wie kommt der Witz in Leipzig angeschlurft? Wie schwebt er in Köln über der Prunksitzung? Wie vorlaut ist er in Berlin und wie waisch babbelldä sisch im Hessischen?
The same procedere as every year in "Dinner For One" ist auf sächsisch vielleicht doch änne ehgahweg annre Sache, als wenn der Bayer sagt: Freili! Ois genau so wia letzts Jahr! Doch eine Frage, der eine solche Kabarettsendung auch nachgehen müsste, wäre diese: Ist der Dialektsprecher, wie wir wissenschaftsdeutsch formulieren, sozial determiniert? Spricht der Mann aus der Unterschicht, der Volkstümler, in Mundart, während Geldbesitzer ihre undefinierbare lokale Herkunft pflegen? Oder wird der Befehls-Geber dadurch lächerlich gemacht, dass man ihn im Dialekt reden lässt? Jene Methode übrigens war Usus im DDR-Kabarett - der Funktionär sächselte besonders breit daher, während der pfiffige kleine Mann ein ganz anderes Sächsisch druff hadde. Noch gar nicht berührt haben wir die Frage, wie denn Dialekt selber etwas über den Sprecher erzählt. Wir könnten hier bei Gerhart Hauptmann und seinen naturalistischen Dramen beginnen, wollen vorerst aber ein winziges Beispiel anführen:
Der schlichte Thüringer Mensch, sagen wir mal von jenem Bergland gebürtig, das sich zwischen Saale und Ilm drängelt, spricht in höchster Erregung: "Ich tu mich nich mehr lasst bevormunde!" Hochdeutsch entspräche dies dem Ausruf. "Ich mach, was ich will!" Mag er dies nun dem herrschsüchtigen Ehepartner oder der allgegenwärtigen Obrigkeit zurufen: Hier steht einer auf - aber in sprachlich sehr gewundener Form. Allein die Umschreibung mit to do, wie wir anglodeutsch formulieren, gibt der Mundart ihre komische Würze. Man macht nicht - man tut machen. Und die schöne bildhafte, aber hochkomplizierte deutsche Zusammensetzung "bevormunden" - wo können andere Sprachen da mithalten? - wird durch eine winzige Änderung, ein weggelassenes "n" und eine Wortumstellung zur komischen Äußerung: "lasst bevormunde". Schwingt da nicht vieles mit? Verlorene deutsche Revolutionen über Jahrhunderte, der Fürst im Flickenteppich Thüringen immer nahebei, vierzig Jahre DDR, der kurze anarchische Frühling 1989 und siebzehn Jahre deutsche Einheit mit besserwissenden Westmenschen "an der Täte"? "Ich tu mich nich mehr lasst bevormunde" sagt der geborene Verlierer und wird zum Gewinner höchster sprachlicher Windungen und Wendungen.