Natürlich hocke ich allein
zu Haus, wie ein amerikanischer Filmheld. Filmhelden sind, glaube ich,
immer amerikanisch. Heroes. Deutsche Filmhelden heißen Figuren und
machen schlechte Figur. Natürlich bin ich zu dick. Natürlich bin ich
nicht ganz allein. Es quirrt und quorrt und quitschert. Das macht es,
weil ich zum einen das Q benutzen will. Das ist ein vernachlässigter
Buchstabe, zu oft nicht gebraucht, wie ich. Ich fühle mich zu
Buchstaben, die in der Textgesellschaft wenig auftauchen, hingezogen.
Zum anderen quirrt und quorrt und quitschert es, weil mein
Wellensittich sich dergestalt bemerkbar macht. Auch er meint
offensichtlich, das Q würde stiefmütterlich behandelt. Er erzählt mir
etwas, was ich zur Zeit noch nicht verstehe. Ich verstehe ihn immerhin
insofern, als auch ich alle naselang nicht verstanden werde.
Ich habe den Wellensittich gebraucht gekauft.
Der Vogelhändler meines Vertrauens hat ihn von einem älteren Ehepaar in
Kommission genommen. Der Vogelhändler hat mir erzählt, warum das
Ehepaar sich vom Vogel trennen wollte, aber ich habe nicht verstanden,
warum. Akustisch nicht. Es quirrte und quorrte und quitscherte in des
Vogelhändlers Show-Room. Auch Vogelhändler sind heutzutage keine
Operettenfiguren mehr, sondern knallharte Verkaufsstrategen mit
Know-How, Staubsaugern und Kaffee-Großpackungen im Angebot. Obwohl ich
den Verkaufstrategen nicht verstand, konnte er mir seine Strategie
verklickern. Ich habe also, knallhart überzeugt, das Buch "Der
Wellensittich in Käfig und Freiflug" gekauft. Dazu einen ökologisch
getesteten Vogelbauer aus Edelstahl mit drei Pfund Sprechfutter "Trill
eiweißreich mit Vitamin C". Das Buch war doppelt so teuer wie der
Wellensittich und der Käfig doppelt so teuer wie das Buch. Das
Sprechfutter war ein Werbe-Angebot.
Nun besitze ich also eine Vogelwohnung, die
viermal so teuer wie der Bewohner ist. Wenn ich das auf Menschenmaß
umrechnete, entspräche ich selber etwa fünfzigtausend Euro.
Hinzu kämen meine Betriebskosten.
Natürlich stimmt meine Rechnung aus drei
Gründen nicht. Meine Wohnung gehört mir nicht, obwohl zunehmender
Wohnungsleerstand das Land in die Katastrophe treibt. Ich bin nicht der
einzige Wohn-Insasse. Und den Wellensittich habe ich für die Kinder
gekauft. Er ist sozusagen Teil der Kinder-Betriebskosten.
Beim Frühstück habe ich neulich eine
Bemerkung gemacht. Harmlos. Es ging um die Kleiderordnung der Kinder
und ich habe die Bemerkung nicht ernst, sondern liebevoll
ironisch gemeint. Meine Kinder nahmen das zum Anlaß, mir kraftvoll
mitzuteilen, daß ich mich nicht wundern solle, wenn ich eines Morgens
mit einem Messer im Rücken erwachte. Das sei unironisch gemeint und
lieblos.
Ich schlafe auf dem Bauch und muß rückwärtige
Drohungen ernst nehmen. Meine Kinder nehme ich immer als Einheit &
Geschlossenheit wahr und also ebenfalls ernst. Sie sind schlaksig,
überragen mich um viele Haaresbreiten und sind zum Teil weiblich. Das
ist an der Kleiderordnung feststellbar. Sie haben eine sehr moderne
Art, mit mir umzugehen, weil ich liberalistisch sei und ihnen keine
festen Normen vermittele. Früher seien Eltern autoritär gewesen. Sie
hätten drakonische Strafen verhängt. Hausarrest, Lederriemen,
Fernsehverbot. Da seien Kinder noch gezüchtigt worden, folglich
geschätzt gewesen.
Meine Kinder lehnen fast jede Art von Alkohol
und fast jede Art zerkleinertes Rindfleisch ab. Sie treiben regelmäßig
Sport und verfolgen die Aktienkurse. Sie surfen, sprechen
fehlerfrei englisch und verständigen sich in einem Idiom namens
SMS. Sie schätzen ihre Mutter hoch und das läßt mich für sie hoffen.
Um eine Hochschätzung auch für mich zu
erreichen und um vor einem großen Messer im Rücken geschützt zu sein,
habe ich den gebrauchten Wellensittich gekauft. Wenn Kinder
Verantwortung für ein lebendiges Wesen tragen müssen, schärft sich ihre
Sozialkompetenz. Sie werden weitherziger, großzügiger; auch verbessert
sich der Teint. Natürlich möchte vor allem ich von der sozialen
Kompetenz meiner Kinder profitieren. Sie sollen begreifen, daß auch ich
Anspruch auf Zuwendung habe. Daß auch meine Arbeit wichtig ist. Daß
nicht nur ihre hochgeschätzte Mutter voll im Leben steht, sondern daß
auch ich gelegentlich den einen oder anderen Schritt in ein
sinnerfülltes Dasein zu tun im Begriffe bin. Auch ich, quitscherte es
symbolisch aus mir, bin ein Mensch!
Meine Kinder schauten den Wellensittich groß
an: Hat der einen Namen? Ich sagte wahrheitsgemäß: Er wurde von den
Vorbesitzern Kina genannt.
Meine Kinder sind weitgereist und
schlußfolgerten, er sei in bayerischer Umgebung aufgewachsen und mit
Kina sei China gemeint. Was wohl Urheimat hiesiger Wellensittiche sei.
Ihre Mutter mußmaßte, daß der Vogel vielleicht in einem absolut
rückwärtsgewandtem Umfeld erzogen worden sei. KiNa habe nach
schauervollen Erzählungen ihrer Vormütter einst ein
Muttermilch-Ersatzprodukt geheißen. Habe Kinder aufgeschwemmt und zu
Töpfchenkorrektheit gepreßt.
Ich erklärte, daß die a-Endung wohl lediglich
auf einen weiblichen Vogel hinweisen wolle. Die Mutter meiner Kinder
widersprach mit klarer, fester Stimme: Es heißt: Der Wellensittich. -
Der Wellensittich ist männlich, versetzte sie mit weiblicher Härte und
schaute mich an.
Die Kinder öffneten den Käfig. Sofort hüpfte
der Wellensittich auf einen erhobenen Kinderzeigefinger. Dazu quorrte,
quarrte und quitscherte er übers ganze Vogelgesicht.
Der ist ja zahm, meinten, murrten und
moserten die Kinder und gingen, null Alkohol zu trinken und emsig
Sport zu treiben.
Von Stund an war es mir überlassen, den Vogel
zu hegen, zu pflegen und ihm zuzuhören. Da er die Qu-Laute aus rein
schnabeltechnischen Gründen liebt, ist das nicht immer einfach. Doch
ich bin ein lernfähiges Menschenwesen. Auch habe ich Zeit, da ich meist
alleine zu Hause hocke, wie ein amerikanischer Filmheld.