Matthias Biskupek

Der soziale Wellensittich

Mit tierisch einfühlsamen Bildern des Ornithologen Ioan Cozacu, Gattungsname Nel


1. MESSER IM RÜCKEN

Natürlich hocke ich allein zu Haus, wie ein amerikanischer Filmheld. Filmhelden sind, glaube ich, immer amerikanisch. Heroes. Deutsche Filmhelden heißen Figuren und machen schlechte Figur. Natürlich bin ich zu dick. Natürlich bin ich nicht ganz allein. Es quirrt und quorrt und quitschert. Das macht es, weil ich zum einen das Q benutzen will. Das ist ein vernachlässigter Buchstabe, zu oft nicht gebraucht, wie ich. Ich fühle mich zu Buchstaben, die in der Textgesellschaft wenig auftauchen, hingezogen. Zum anderen quirrt und quorrt und quitschert es, weil mein Wellensittich sich dergestalt bemerkbar macht. Auch er meint offensichtlich, das Q würde stiefmütterlich behandelt. Er erzählt mir etwas, was ich zur Zeit noch nicht verstehe. Ich verstehe ihn immerhin insofern, als auch ich alle naselang nicht verstanden werde.
     Ich habe den Wellensittich gebraucht gekauft. Der Vogelhändler meines Vertrauens hat ihn von einem älteren Ehepaar in Kommission genommen. Der Vogelhändler hat mir erzählt, warum das Ehepaar sich vom Vogel trennen wollte, aber ich habe nicht verstanden, warum. Akustisch nicht. Es quirrte und quorrte und quitscherte in des Vogelhändlers Show-Room. Auch Vogelhändler sind heutzutage keine Operettenfiguren mehr, sondern knallharte Verkaufsstrategen mit Know-How, Staubsaugern und Kaffee-Großpackungen im Angebot. Obwohl ich den Verkaufstrategen nicht verstand, konnte er mir seine Strategie verklickern. Ich habe also, knallhart überzeugt, das Buch "Der Wellensittich in Käfig und Freiflug" gekauft. Dazu einen ökologisch getesteten Vogelbauer aus Edelstahl mit drei Pfund Sprechfutter "Trill eiweißreich mit Vitamin C". Das Buch war doppelt so teuer wie der Wellensittich und der Käfig doppelt so teuer wie das Buch. Das Sprechfutter war ein Werbe-Angebot.
      Nun besitze ich also eine Vogelwohnung, die viermal so teuer wie der Bewohner ist. Wenn ich das auf Menschenmaß umrechnete,  entspräche ich selber etwa fünfzigtausend Euro. Hinzu kämen meine Betriebskosten.
      Natürlich stimmt meine Rechnung aus drei Gründen nicht. Meine  Wohnung gehört mir nicht, obwohl zunehmender Wohnungsleerstand das Land in die Katastrophe treibt. Ich bin nicht der einzige Wohn-Insasse. Und den Wellensittich habe ich für die Kinder gekauft. Er ist sozusagen Teil der Kinder-Betriebskosten.
      Beim Frühstück habe ich neulich eine Bemerkung gemacht. Harmlos. Es ging um die Kleiderordnung der Kinder und ich habe die  Bemerkung nicht ernst, sondern liebevoll ironisch gemeint. Meine Kinder nahmen das zum Anlaß, mir kraftvoll mitzuteilen, daß ich mich nicht wundern solle, wenn ich eines Morgens mit einem Messer im Rücken erwachte. Das sei unironisch gemeint und lieblos.
      Ich schlafe auf dem Bauch und muß rückwärtige Drohungen ernst nehmen. Meine Kinder nehme ich immer als Einheit & Geschlossenheit wahr und also ebenfalls ernst. Sie sind schlaksig, überragen mich um viele Haaresbreiten und sind zum Teil weiblich. Das ist an der Kleiderordnung feststellbar. Sie haben eine sehr moderne Art, mit mir umzugehen, weil ich liberalistisch sei und ihnen keine festen Normen vermittele. Früher seien Eltern autoritär gewesen. Sie hätten drakonische Strafen verhängt. Hausarrest, Lederriemen, Fernsehverbot. Da seien Kinder noch gezüchtigt worden, folglich geschätzt gewesen.
      Meine Kinder lehnen fast jede Art von Alkohol und fast jede Art zerkleinertes Rindfleisch ab. Sie treiben regelmäßig Sport und verfolgen die Aktienkurse. Sie surfen, sprechen fehlerfrei  englisch und verständigen sich in einem Idiom namens SMS. Sie schätzen ihre Mutter hoch und das läßt mich für sie hoffen.
      Um eine Hochschätzung auch für mich zu erreichen und um vor einem großen Messer im Rücken geschützt zu sein, habe ich den gebrauchten Wellensittich gekauft. Wenn Kinder Verantwortung für ein lebendiges Wesen tragen müssen, schärft sich ihre Sozialkompetenz. Sie werden weitherziger, großzügiger; auch verbessert sich der Teint. Natürlich möchte vor allem ich von der sozialen Kompetenz meiner Kinder profitieren. Sie sollen begreifen, daß auch ich Anspruch auf Zuwendung habe. Daß auch meine Arbeit wichtig ist. Daß nicht nur ihre hochgeschätzte Mutter voll im Leben steht, sondern daß auch ich gelegentlich den einen oder anderen Schritt in ein sinnerfülltes Dasein zu tun im Begriffe bin. Auch ich, quitscherte es symbolisch aus mir, bin ein Mensch!
      Meine Kinder schauten den Wellensittich groß an: Hat der einen Namen? Ich sagte wahrheitsgemäß: Er wurde von den Vorbesitzern Kina genannt.
      Meine Kinder sind weitgereist und schlußfolgerten, er sei in bayerischer Umgebung aufgewachsen und mit Kina sei China gemeint. Was wohl Urheimat hiesiger Wellensittiche sei. Ihre Mutter mußmaßte, daß der Vogel vielleicht in einem absolut rückwärtsgewandtem Umfeld erzogen worden sei. KiNa habe nach schauervollen Erzählungen ihrer Vormütter einst ein Muttermilch-Ersatzprodukt geheißen. Habe Kinder aufgeschwemmt und zu Töpfchenkorrektheit gepreßt.
      Ich erklärte, daß die a-Endung wohl lediglich auf einen weiblichen Vogel hinweisen wolle. Die Mutter meiner Kinder widersprach mit klarer, fester Stimme: Es heißt: Der Wellensittich. - Der Wellensittich ist männlich, versetzte sie mit weiblicher Härte und schaute mich an.
      Die Kinder öffneten den Käfig. Sofort hüpfte der Wellensittich auf einen erhobenen Kinderzeigefinger. Dazu quorrte, quarrte und quitscherte er übers ganze Vogelgesicht.
      Der ist ja zahm, meinten, murrten und moserten die Kinder  und gingen, null Alkohol zu trinken und emsig Sport zu treiben.
      Von Stund an war es mir überlassen, den Vogel zu hegen, zu pflegen und ihm zuzuhören. Da er die Qu-Laute aus rein schnabeltechnischen Gründen liebt, ist das nicht immer einfach. Doch ich bin ein lernfähiges Menschenwesen. Auch habe ich Zeit, da ich meist alleine zu Hause hocke, wie ein amerikanischer Filmheld.

Der soziale Wellensittich