Sie liebte den Verriss. Besonders schlechte
Filme reizten sie am allermeisten.
Sagt „Kino-Eule“ Renate Holland-Moritz,
die von 1960 bis 2015 im Satiremagazin
„Eulenspiegel“ monatlich ihre legendären
Filmkritiken veröffentlichte. 55 Jahre lang!
Ihr pointiertes, gescheites und scharfes Urteil
wurde geliebt und gefürchtet. „Bist du
der Renate? Meine größte Feind in DDR?“,
fragte Dean Reed sie bei einer Begegnung.
Der Amerikaner hatte Exil in der DDR genommen,
wurde politisch hofiert und
drehte einige Filme. Was die Kritikerin
nicht hinderte, „Sing, Cowboy, sing!“ ein
Werk zu nennen, das sie „ersatzlos wegschmeißen“
würde.
Der Band „Du mit Deiner frechen
Schnauze“ stammt aus dem Nachlass von
Renate Holland-Moritz. Sie starb vor drei
Jahren nach ihrem 82. Geburtstag. Die Herausgeber
Reinhold Andert und Matthias
Biskupek prüften Anekdoten und Briefe, zitieren
aus Interviews und demKlatschband
„Die tote Else lebt“. Sie geben einen intimen
Einblick in den Freundes-, Feindesund
Verehrerkreis der „Kino-Eule“. DDRStars
darunter, so Gisela May, Eva Strittmatter,
Maxie Wander, Konrad Wolf oder
Gojko Mitic.
Autorin vom Mann nach der Oma
In einem ihrer letzten Texte fragt die Satirikerin,
ob man in der DDR überhaupt lachen
durfte. Ironische Antwort: „Man durfte
nicht, man musste.“ Mit Humoresken,
Büchern und mit Filmen wie „Florentiner
73“ oder „Der Mann, der nach der Oma
kam“ brachte Renate Holland-Moritz ein
Millionenpublikum zum Lachen.
Andere schäumten vor Wut. Der Schauspieler
Hermann Beyer meint nach dem Lesen
ihrer „oberflächlichen Kritiken“, sie
könne weder beschreiben noch analysieren.
Noch entschiedener weisen NVA-Soldaten
aus Eggesin den Verriss des französischen
Zweiteilers „Die schöne Angelique“
zurück. „Wir Soldaten stehen mit der Waffe
in der Hand bereit zur Verteidigung der
schönen Angelique“, schreiben sie in einem
Leserbrief. Renate Holland-Moritz be-vorzugte Kino-Geschichten, in denen sie lachen
und weinen konnte. „Ich liebe über
alles die Tragikomödien, weil sie so sind
wie das Leben.“ Kitsch erkannte sie auf Anhieb.
„Wenn ich heule, war es Kunst!“ Publikum
und Leser blieben der Autorin auch
nach 1989 treu. Ein Geheimtipp war ihre
Talkshow in der Ostberliner „Galerie 100“.
Zu den Gästen zählten Prominente wie Ursula
Karusseit, JuttaWachowiak, Erwin Geschonneck
und Jaecki Schwarz. Den Auftakt
machte Eberhard Esche. „Er war noch
ein bisschen linker als ich“, sagte die Gastgeberin.
Der Talk dauerte vier Stunden (!),
und keiner ging eher.
Aus ihren politischen Überzeugungen
machte die „Kino-Eule“ kein Hehl, weder
in der DDR noch danach. Sie verübelte Rolf
Ludwig, dass er der Super-Illu, dem „Herzblatt
für deutsche Vollidioten“, ein Interview
gab. Wisse er nicht, intervenierte sie,
dass es Prinzip der Boulevardpresse sei,
„mit guten Namen für Glaubwürdigkeit zu
sorgen“? Auch der Autor und Kabarettist
Peter Ensikat muss sich Fragen gefallen lassen.
„Wieso sprichst du permanent von
Wende, was doch eine Wende zum Guten
impliziert?“ Sie schreibt: „War’s nicht eher
ein Kehre, also eine Kehrtwendung zurück?“
Streitbar, zuspitzend, manchmal unversöhnlich
– so war Renate Holland-Moritz.
Der langjährige Chef des „Eulenspiegel“,
Mathias Wedel, sagte: „Sie ist die Kritikerin,
die am besten schlecht über andere
Menschen reden kann.“ Doch sie war auch
ein mitfühlendesWesen. Eine Frau, die für
Kolleginnen stritt, sich gegen Unrecht zur
Wehr setzte und eine gute Freundin war.
Sie konnte trösten, ermutigen und zärtliche
Briefe schreiben. Auch davon zeugt dieser
Band, der eine schöne Liebeserklärung
an die „Kino-Eule“ geworden ist.
Reinhold Andert, Matthias Biskupek (Hrsg.): "Du mit Deiner frechen Schnauze. Renate Holland-Moritz – Anekdoten und Briefe", Quintus (vbb), 176 Seiten, 19,90 Euro