Durfte man in der DDR lachen? Renate Holland-Moritz, die berühmte Kino-Rezensentin des Satiremagazins „Eulenspiegel“, überrascht mit ihrer Antwort – aus dem Nachlass.
Sächsischen Zeitung, 12. Februar 2020, Von Rainer Kasselt

Sie liebte den Verriss. Besonders schlechte Filme reizten sie am allermeisten. Sagt „Kino-Eule“ Renate Holland-Moritz, die von 1960 bis 2015 im Satiremagazin „Eulenspiegel“ monatlich ihre legendären Filmkritiken veröffentlichte. 55 Jahre lang! Ihr pointiertes, gescheites und scharfes Urteil wurde geliebt und gefürchtet. „Bist du der Renate? Meine größte Feind in DDR?“, fragte Dean Reed sie bei einer Begegnung. Der Amerikaner hatte Exil in der DDR genommen, wurde politisch hofiert und drehte einige Filme. Was die Kritikerin nicht hinderte, „Sing, Cowboy, sing!“ ein Werk zu nennen, das sie „ersatzlos wegschmeißen“ würde. Der Band „Du mit Deiner frechen Schnauze“ stammt aus dem Nachlass von Renate Holland-Moritz. Sie starb vor drei Jahren nach ihrem 82. Geburtstag. Die Herausgeber Reinhold Andert und Matthias Biskupek prüften Anekdoten und Briefe, zitieren aus Interviews und demKlatschband „Die tote Else lebt“. Sie geben einen intimen Einblick in den Freundes-, Feindesund Verehrerkreis der „Kino-Eule“. DDRStars darunter, so Gisela May, Eva Strittmatter, Maxie Wander, Konrad Wolf oder Gojko Mitic.
Autorin vom Mann nach der Oma In einem ihrer letzten Texte fragt die Satirikerin, ob man in der DDR überhaupt lachen durfte. Ironische Antwort: „Man durfte nicht, man musste.“ Mit Humoresken, Büchern und mit Filmen wie „Florentiner 73“ oder „Der Mann, der nach der Oma kam“ brachte Renate Holland-Moritz ein Millionenpublikum zum Lachen. Andere schäumten vor Wut. Der Schauspieler Hermann Beyer meint nach dem Lesen ihrer „oberflächlichen Kritiken“, sie könne weder beschreiben noch analysieren. Noch entschiedener weisen NVA-Soldaten aus Eggesin den Verriss des französischen Zweiteilers „Die schöne Angelique“ zurück. „Wir Soldaten stehen mit der Waffe in der Hand bereit zur Verteidigung der schönen Angelique“, schreiben sie in einem Leserbrief. Renate Holland-Moritz be-vorzugte Kino-Geschichten, in denen sie lachen und weinen konnte. „Ich liebe über alles die Tragikomödien, weil sie so sind wie das Leben.“ Kitsch erkannte sie auf Anhieb. „Wenn ich heule, war es Kunst!“ Publikum und Leser blieben der Autorin auch nach 1989 treu. Ein Geheimtipp war ihre Talkshow in der Ostberliner „Galerie 100“. Zu den Gästen zählten Prominente wie Ursula Karusseit, JuttaWachowiak, Erwin Geschonneck und Jaecki Schwarz. Den Auftakt machte Eberhard Esche. „Er war noch ein bisschen linker als ich“, sagte die Gastgeberin. Der Talk dauerte vier Stunden (!), und keiner ging eher.
Aus ihren politischen Überzeugungen machte die „Kino-Eule“ kein Hehl, weder in der DDR noch danach. Sie verübelte Rolf Ludwig, dass er der Super-Illu, dem „Herzblatt für deutsche Vollidioten“, ein Interview gab. Wisse er nicht, intervenierte sie, dass es Prinzip der Boulevardpresse sei, „mit guten Namen für Glaubwürdigkeit zu sorgen“? Auch der Autor und Kabarettist Peter Ensikat muss sich Fragen gefallen lassen. „Wieso sprichst du permanent von Wende, was doch eine Wende zum Guten impliziert?“ Sie schreibt: „War’s nicht eher ein Kehre, also eine Kehrtwendung zurück?“ Streitbar, zuspitzend, manchmal unversöhnlich – so war Renate Holland-Moritz. Der langjährige Chef des „Eulenspiegel“, Mathias Wedel, sagte: „Sie ist die Kritikerin, die am besten schlecht über andere Menschen reden kann.“ Doch sie war auch ein mitfühlendesWesen. Eine Frau, die für Kolleginnen stritt, sich gegen Unrecht zur Wehr setzte und eine gute Freundin war. Sie konnte trösten, ermutigen und zärtliche Briefe schreiben. Auch davon zeugt dieser Band, der eine schöne Liebeserklärung an die „Kino-Eule“ geworden ist.

Reinhold Andert, Matthias Biskupek (Hrsg.): "Du mit Deiner frechen Schnauze. Renate Holland-Moritz – Anekdoten und Briefe", Quintus (vbb), 176 Seiten, 19,90 Euro