Der schöne Amerikaner

ZEITGESCHICHTE Renate Holland-Moritz schrieb Filmkritiken für die Ost-Zeitschrift „Eulenspiegel" - nun liegt ein Buch über sie und ihre „freche Schnauze" vor
VON ANDREAS MONTAG

HALLE/MZ - Keine Frage, die Frau hatte Biss. Als Filmkritikerin der DDR- Satirezeitschrift „Eulenspiegel" hat sie über Jahrzehnte eine Generationen überspannende Fangemeinde versammelt - Neider und Gegner natürlich auch. Das war ein respektabler Abglanz „Weimarer Verhältnisse" (hier einmal positiv gemeint), ein kecker Nachhall des großen deutschen Feuilletons aus der Zeit vor der ersten der beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts.
Ob Renate Holland-Moritz, die vor drei Jahren in ihrer Geburtsstadt Berlin gestorben ist, deshalb aber als Kronzeugin für un-zensierte Meinungsfreudigkeit in der DDR herhalten kann, ist allerdings fraglich. Reinhold Andert und Matthias Biskupek, die Herausgeber des Bandes „Du mit Deiner frechen Schnauze" deuten es immerhin an: „Es gibt bis heute die etwas summarische Einschätzung, dass in der DDR alles und jedes der Zensur, speziell dem Zuchtmeister PARTEI unterlag", heißt es im Vorwort. Erstaunlich aber sei, wie offen in den ersten DDR-Jahrzehnten „miteinander auch öffentlich gestritten wurde". Wie viele der vier Jahrzehnte gemeint sind, bleibt offen.
Ungeachtet dieser Arabeske, ist der Band mit Texten, Selbstzeugnissen und Briefen der Holland-Moritz, deren Erzählung „Graffunda räumt auf" für die Defa unter dem Titel „Der Mann, der nach der Oma kam" erfolgreich verfilmt wurde, ein wahres Lese-vergnügen. Denn die Frau hatte Biss, wie gesagt. Und auch wenn man sie wohl nur beißen ließ, weil sich ein solch schillerndes Alibi gut ausnahm auf dem grauen Waffenrock der schlachterprobten SED-Kulturpolitiker - sie hat ihren Freiraum genutzt, sich selbst nicht krumm und andere nicht dumm gemacht.
Die größte Tugend der 1935 im Berliner Wedding geborenen Tochter einer Artistin und eines kommunistischen Handwerkers war ihre Ehrlichkeit. Aufgewachsen in der thüringischen Heimat ihres Vaters, kehrte sie in den frühen fünfziger Jahren zurück nach Berlin und wollte nur eines: schreiben. Sie setzte sich durch, auch gegen die Zensur - so gut es eben ging, wie der Band belegt: Statt eine bestellte Lobeshymne zu dichten, schrieb sie lieber gar nichts. Und schwieg abermals im umgekehrten Fall, nachdem ihr einmal ein Verriss aus politischen Gründen nahegelegt worden war. Auch das hat Mut erfordert.
Heiter zu lesen ist, wie sie dem „schönen Amerikaner", dem in die DDR übersiedelten und dort gefeierten US-Sänger Dean Reed, nicht den Gefallen tat, seine schauspielerischen Leistungen zu loben, so sehr er sie drängte.
Köstlich auch die Anekdote, in der sie von einem 1964 im Berliner Kabarett „Die Distel" von Wolf Biermann eingefädelten Konzert der amerikanischen Folksängerin Joan Baez berichtet. Welchem Beruf er denn nachginge, fragte Renate Holland-Moritz den stillen jungen Mann, der die Baez begleitete und anhimmelte. „Mr. Bob Dylan is a composer" antwortete die Künstlerin an seiner Stelle. Bewegend ist dagegen der Brief, in dem Renate Holland-Moritz dem befreundeten Schriftsteller Fred Wander im Jahr 1980 von ihrer Nähe zu dessen verstorbener Frau Maxie schreibt - und auch die eigene Angst bekennt, der Freundin nicht offen beigestanden und ihr Zuspruch gegeben zu haben, als sie schon todkrank war.
„Man ist nicht freundlich genug zu den Menschen, die Freundlichkeit und Anerkennung verdienen. Man ist ja nicht einmal freundlich zu sich selbst", hat die Autorin geschrieben.
Direkt war sie stets, auch in eigener Sache. Und nachtragend: „Vielleicht haben wir doch einen sehr verschiedenen Begriff von Freundschaft", schrieb sie 1998 an den Kabarettisten Peter Ensikat. Der hatte ihren Trost eingefordert und sie selbst doch ein paar Jahre zuvor in gleicher Lage hängen lassen. Das rieb sie ihm nun unter die Nase. Unmissverständlich. Ihr Feind hätte man auch nicht sein mögen.

Reinhold Andert, Matthias Biskupek (Hrsg.): "Du mit Deiner frechen Schnauze. Renate Holland-Moritz – Anekdoten und Briefe", Quintus (vbb), 176 Seiten, 19,90 Euro