Rezension aus PALMBAUM Nr. 1-2020
Erscheint zur Buchmesse
Eulenweisheiten

Im Palmbaum erschien vor genau drei Jahren ihr letzter Text: EineLachsalve auf die DDR. Ich hatte siefür unser Heft über das Komische (1/2017) gefragt, ob man in der finsteren DDR überhaupt lachen durfte. Ihre Antwort: „Nein. Man durfte nicht, man musste!“ Lachen als Medizin, um die Absurditäten des Alltags zu ertragen, um Dummheiten zu verlachen, aber auch um sich an Gelungenem zu erfreuen, als unverzichtbares Lebensmittel der Freundlichkeit, des miteinander Lachens, doch nie als Häme des Auslachens – das war das Credo der Renate Holland-Moritz, die von 1960 bis 2015 mit ihrer „Kino-Eule“ Monat für Monat die Leser des Eulenspiegels beglückte. Sie war nicht nur die am längsten aktive Filmkritikerin der Welt, sondern zugleich eine der scharfzüngigsten. Eine, die noch besaß, was heute so selten ist: ein eigenes Urteilsvermögen und das Talent, ein begründetes Urteil auf den Punkt zu bringen, unbestechlich gegenüber der Obrigkeit, aber auch ohne Rücksicht auf die Meinungen der Mehrheit, des Mainstreams. Für beides finden sich Belege in dem vorliegenden Buch mit Anekdoten und Leserbriefen, die beste Unterhaltung bieten: geistreichen Klatsch & Tratsch über Schauspieler und Literaten im Osten, vor und nach der „Wende“, die nichts gewendet, aber manches kenntlich gemacht hat. Klug, präzise und dem Leben zugewandt. Sie selbst hat mit dem Ordnen des Materials schon begonnen, als sie am 14. Juni 2017 starb. Reinhold Andert und Matthias Biskupek setzten die Arbeit auf ihre Bitte hin fort. Mögen viele Leser es ihnen danken. Natürlich gehört zum Lachen auch das Weinen, weshalb die Kino-Eule Geschichten liebte, die „anrühren“, die sie zum Lachen und Weinen brachten: „Ich liebe über alles Tragikomödien, weil die so sind wie das Leben. Es muss kunstvoll sein, damit es so aussieht, als wäre es echt.“ Daher ihr unbestechlichstes Kriterium: „Wenn ich heule, war es Kunst! Bei Kitsch heule ich nicht.“ Großartig! Und so ist das ganze Buch, das den Leser mit eben diesem unpathetischen Pathos ergreift. Oder, mit einem Freund gesprochen, der mich nach der Lektüre des Bandes anrief: Wenn ich ein Buch nicht weglegen kann, bis ich es ausgelesen habe, und am Ende bedaure, dass es nicht weitergeht, dann war es gut.
Jens-F. Dwars

Reinhold Andert, Matthias Biskupek (Hrsg.): "Du mit Deiner frechen Schnauze. Renate Holland-Moritz – Anekdoten und Briefe", Quintus (vbb), 176 Seiten, 19,90 Euro