Mordstorys und Kochkunst


Nennt ihn Gott
Komikgroßmeister Thomas Gsella kann alles bedichten. Das beweist eine Ausgabe des feinen Magazins Poesiealbum

Von Thomas Behlert
Junge Welt, Mittwoch 17. Juni 2020 Nr. 139

Vor einiger Zeit erschienen gleich zwei neue Nummern des kleinen Gedichtmagazins Poesiealbum. Diese 32 Seiten schmale Heftchen, hatten einst viele literaturbegeisterte Menschen in der DDR mit einmaligen Sammlungen erfreut. (…)
Nach der sogenannten Wende stellte man das Poesiealbum leider zunächst ein, da kein Verlag mit Gewinn rechnete. Doch dann wagte sich der Märkische Verlag Wilhelmshorst an das Abenteuer Lyrik und veröffentlicht nun seit einigen Jahren erneut das Poesiealbum. Die Hefte zu Ror Wolf, Gerhard Gundermann, Immanuel Weißglas, Thomas Böhme oder Therese Chromik sind nicht weniger empfehlenswert als die alten. (…)
Denn diese 351 wiederum ist voller Satire, Humor und zersetzender Zeitkritik. Dabei alles immer gereimt und wohlklingend. So schreibt der feine Herr Gsella nämlich, dem das Heft gewidmet ist und der 1958 in einem Essener Lehrerhaushalt geboren wurde. (…)
Bekannt wurde Thomas Gsella als Redakteur (von 1992 bis 2005) und später als Chefredakteur (bis 2008) der Satirezeitschrift titanic. Mit der Titanic Boygroup ist er bis heute viel unterwegs oder mit Hans Well von den Biermösl Blosn. Auch junge Welt-Leser kennen seine Arbeiten aus den Kolumnen „Gedicht zeigen“ und „Lyrische Hausapotheke“.
Aus seinen Lyrikbänden, die etwa „Nennt mich Gott“ (2008) „Reiner Schönheit, Glanz und Licht – Ihre Stadt im Schmähgedicht (2011), „Von Aachen bis Zzwickau – Ihre Stadt im Schmähgedicht“ (2016) und „Festgedichte (2019) heißen, wählte der Rudolstädter Autor Matthias Biskupek 54 hervorragende und sehr vergnügliche Stücke aus. Jeder Reim hat Charme und sprachliche Brillanz, zeugt von Intelligenz und Wortwitz. Der Dichter Gsella, der jetzt in Aschaffenburg wohnt, kann alles bedichten – ob nun die Beamten, verschiedene von ihm bereiste Städte oder einfach nur die Deutschen: „Den Deutschen eint von Nord bis Süd / Die Vielzahl der Talente: / Der Lagerbau, der Genozid, / Das Bier, die Riester-Rente.“
Der „Ossi“ kommt so schlecht weg, wie der „Wessi“, am schlechtesten aber die Bundeswehr: „Denn Nazis gehen am liebsten hin, / hier könnse groß was werden / Und finden ihren größten Scheiß auf Erden.“ Als besonderes Schmankerl ist das sehr empfehlenswerte Heft noch mit zwei knackigen Grafiken Rudi Hurzlmeiers versehen. Doch Zeilen wie diese könnten auch ganz allein stehen: „ Ich freue mich nicht, wenn ich leide. / Ich lache nicht auf, wenn es schmerzt. / Ich häng nicht an dem, was ich meide. / Ich finde echt blöd, wenn wer scherzt. / Und ich es nicht bin, sondern der da, / Und der da Applaus kriegt, nicht ich. / Und du küsst statt meiner den Herrn da, / Und wer mag den Fall nicht? Na mich.“