Passfälscher trifft Bananenmörder
Von Anne Gallinat

(tlz) Genau genommen war das Ende der innerdeutschen Mauer ein Fall im doppelten Sinne: ein Einsturz, ein gesellschaftlicher Zusammenbruch einerseits. Vielleicht aber gewissermaßen auch ein Rechtsfall, der seiner Aufklärung harrt? Der 20. Jahrestag des Mauerfalls jedenfalls war Anlass für große Abrechnungen und Enthüllungen. Wo abgerechnet und enthüllt wird, ist der Krimi zu Hause. Möglicherweise brachte diese Tatsache Silvija Hinzmann und Ruth Borcherding-Witzke auf die Idee, eine kleine Sammlung von Kurzkrimis aus Ost und West herauszugeben.
Das Bändchen "Immer Ärger mit den lieben Verwandten" enthält eine bunte Mischung von Krimis, die das Thema vielfältig angehen: teils wird eher konventionell erzählt. Ein Ermittler fragt sich tapfer durch Lügen und Vertuschungen hindurch. Andere Krimis sind teils skurril, boshaft und komisch. Einige Autoren wagen gar eine Abrechnung mit dem gestürzten System. Bunt gemischt ist gleichfalls das Grüppchen von Autoren, die dem Thema entsprechend natürlich aus Ost und West kommen. Leider ist auch das qualitative Niveau sehr durchwachsen. Mit großem Spaß liest man in "Der Pass des Vergessens" (Matthias Biskupek) von einem DDR-Dichter, der sich mit "konkreter Lyrik" durchs zensierende System schummelt und sogar die Genehmigung für eine Westreise bekommt, bei der er mit einem schottischen Kollegen den Pass tauscht. Nicht etwa, weil der DDR-Lyriker ausreisen wollte, sondern weil der Schotte unbedingt einen DDR-Pass besitzen wollte. Auch der trunkene Monolog des ehemaligen Bananenverkäufers, der sich in der Geschichte "Bier ausm Konsum" (Ulf Annel) seinem potentiellen Mörder anvertraut, bereitet großes Vergnügen. Einst hat er mit einem Freund "in den Osten rübergemacht", um Biernachschub aus dem Konsum zu holen. Ein Einkauf, der ihm zum Verhängnis wird. Auch die Titelgeschichte (Ruth Borcherding-Witzke), in der der verunfallte Ostonkel im Trabbi entsorgt werden muss, macht Spaß.
André Schinkels "Licht auf der Mauer" überzeugt durch seine lyrische Sprache, mit der er die Atmosphäre in einem Dorf, das innerlich wenig mit dem Mauerfall zu tun hat, sinnlich verdichtet. Andere Krimis kommen gut gemeint, aber recht bemüht daher. Dass der Einmarsch von "Ossiherden" in Westläden zu leeren Regalen und die nun wieder zu Mordgelüsten in Form von vergifteten Erdbeerjoghurts führen, ist doch ein wenig fragwürdig, zumindest dann, wenn das Geschichtchen leider nicht mit dem Humor erzählt wird, wie das vom toten Onkel. Bei manchen Krimis geht es weniger um die Enthüllung eines Verbrechens, als um eine Gesamtabrechnung mit der DDR. Und das, was einen Krimi eigentlich ausmacht - Spannung - bleibt leider vielfach auf der Strecke.

Silvija Hinzmann, Ruth Borcherding-Witzke (Hg.): Immer Ärger mit den lieben Verwandten. Kurzkrimis aus Ost und West, Argument Verlag, 219 S., 12.90 Euro