Alles ist immer neu das andere selbe

Alles ist immer neu das andere selbe
Edda Rydzy
Aus SOZIOkultur Heft 4-15

Biskupek guckt auf seine vergangenen Lebensjahre und schreibt dazu in 66 Kapiteln zweierlei auf. In jeweils einem faktisch-dokumentarischen Abschnitt erzählt er über tatsächliche Begebenheiten. Daneben stellt er Geschichten, in denen die Dinge seiner Zeiten zu Substanz gerinnen.

Von Herzen Sachse
Er lebte vor langer Zeit tatsächlich einmal in Sachsen. Mit knapp neunzehn verschlug es ihn zum Studium nach Sachsen-Anhalt. Danach hatte er Freunde, Tisch und Bett im thüringischen Rudolstadt, in Berlin und immer mal wieder in der weiten Welt. 46 Jahre sind eine lange Zeit. Lang genug, um Thüringer, Berliner oder Kosmopolit zu werden. Biskupek aber beharrt: Ich bin ein Sachse! Sein Sächsisch pflegt er mündlich und schriftlich.
Als es August den Starken gab, als Reichsgraf von Brühl einst Kunst und Wissenschaften nach Dresden zog, nannte man Sachsen einen Gipfel der Kultur und das Sächsische eine feine hochdeutsche Redeweise. Doch dann gewannen die Preußen den Krieg und wieder andere die industrielle Revolution. Das Land verlor seinen Glanz. Den meisten deutschen Ohren klingt das Sächsische längst nicht mehr hoch, sondern ausgesprochen schlecht.
Biskupek ehrt es mit Hingabe. Jedes echte Wort ist ihm so lieb, wie ihm Klischees wider den Willen gehen. Ein Nibelungengemüt wird ihm nicht nachgesagt. Doch auf Sächsisch beweist er Wurzeltreue, buchstäbliche, auch guten alten Trutz gegen alle dialektischen und mundartlichen Übermächte.

Unter Roben und Kitteln
Im Märchen ruft ein Knabe zum Staunen des Hofstaats, der Kaiser sei nackt. Biskupek geht als sein Nachfahre durch. Er begann schon während der Schulzeit, Wörter und Worte kunstvoll in Zeilen zu reihen.
Wer‘s zum Lachen ernst nimmt mit dem Schreiben, lernt dabei früh: Frisch geboren und kaum eben gestorben sind wir nackt. In den Jahren dazwischen, unter unseren Roben, Kitteln, Talären, unter den Uniformen und sonstigen Bekleidungen oder Kostümen, sind wir es auch. Es fragt sich regelmäßig, was das jetzt gerade ist: das wahre Leben im Unterschied zum behaupteten. Für das leibhaftige Wimmeln unter den Hüllen von Oberfläche und Schein interessiert sich Biskupek also brennend. Als existenzielle Weisheit liest man aus seinem Buch: Alles ist immer neu das andere selbe.

Schlesier und andere Fremde
Neuerdings bestimmt die sogenannte Flüchtlingskrise wieder öffentliche Tonlagen. Laut unfreundlich klingt es aus der ursächsischen Pegida. Bei Biskupek lernt man gleich auf den ersten Seiten hautnahe Verwandte kennen. Es hatte sie vor siebzig Jahren von Schlesien nach Sachsen verschlagen. Sie verrieten sich durch ihre Sprache als Habenichtse. Deshalb sah man auf sie herab. Mancher schlesische Verwandte schämte sich sehr.
Vor lauter „kultureller Überfremdung“ spielte in diesem Herbst das deutsche Einheitsjubiläum eine kleine Rolle. Am ersten gemeinsamen Nationalfeiertag traf Biskupek im Land des Lächelns selbst auf japanische Kultur. Dort ignoriert mühelos der Mann den Hintern der Frau. Dies nicht aus Selbstbeherrschung. Er steht nur erotisch im Banne der Nackenlinie. Das Licht der sonstigen japanischen Verhältnisse erhellte die deutschen Angelegenheiten: „Wer aus dem Osten kommt, riecht zeitlebens nach Osten, und wenn im Süden nicht so viel gestorben würde, hätten wir nordischen Europariesen nicht so viel zum Fettleben.“

Eurozeiten
Als erstmals Euro aus Bankautomaten lugten, bekam Biskupek Besuch vom Finanzamt. Belege für Porto und Büroklammern wurden pfennigweise geprüft. Nach vielen Stunden nahmen die Beamten eine Schuld von 16 DM ein. Die rechneten sie in 8,17 € um.
Im gleichen Jahr 2002 lag die Osterweiterung der EU fern, wie in heutigen Orban-Zeiten die Ostabgrenzung nahe rückt. Dazu finden sich zwei realistische Märchen über die Geschichte der Zukunft unserer Völkerunion und ihrer Währung.
Der Rentnerlehrling selbst zeigt sich als gutwilliger, politisch vordenkender und eifriger Technokrat. Er bringt Mathe, seine Lebensidee und das ungewisse Geld in einer Renten-Formel zusammen. Für ihn geht’s gut aus. Fürs Große Ganze endet die Geschichte mit „dududu und deideidei.“

Biskupek ist nicht Comedian, sondern Satiriker. Niemand verlangt, dass Sie sich beim Lesen dauernd auf die Schenkel klopfen. Aber berichtet oder fabuliert: Glauben Sie ihm jedes Wort. Der Mann hatte Ämter über Ämter inne, solche mit viel Arbeit und keinem Geld. Zum Beispiel war er jahrelang Kassenwart eines armen Vereins. So einer redet sich mal raus. In wichtigen Dingen lügt er nicht.

Matthias Biskupek. Der Rentnerlehrling. Meine 66 Lebensgeschichten. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2015, 19,95 Euro