Weltenreise von Mittweida nach Rudolstadt “

Klaus Walther, „Freien Presse“ Chemnitz, 12.5.2016
Weltenreise von Mittweida nach Rudolstadt
Mit einem Lächeln über seltsame Wege: Für jedes seiner Lebensjahre erzählt Matthias Biskupek eine Geschichte.

Damals, als wir in die Erweiterte Oberschule kamen, die heute Gymnasium heißt, sagte ein Mitschüler, vierzehn Jahre alt: "Nu ham mir's bald geschafft, noch gut 5o Jahre, und wir kriegen Rente". Derartige Prognose war erstaunlich. Nun, der in hiesigen Landen nicht unbekannte Matthias Biskupek, hat einen solchen Zeitweg in einem Buch beschrieben: "Der Rentnerlehrling. Meine 66 Lebensgeschichten" - für jedes seiner vergangenen Jahre zwei Texte: eine chronistische Darstellung und dazu eine Geschichte. Von der Wiege bis zum Rentnerleben.
Merkwürdig, das mittlere Sachsen scheint eine literarische Provinz zu werden. Soeben hat Guntram Vesper - und dafür mit dem Leipziger Buchpreis geehrt - Frohburg und Umgebung auf tausend Seiten beschrieben. Nun erzählt Matthias Biskupek, wie er aus Mittweida nach Rudolstadt kam. Geboren ist er freilich 1950 in Chemnitz. Chemnitz ist in diesem Falle nur eine Klinikzeit, dann ist man schon in Mittweida. Da lebt er in einer Lehrerfamilie, und es geht gleich gut los: Der Vater fliegt aus seiner Lehrerstelle, weil er laut gesagt hatte, Stalin sei nicht unfehlbar. Oder weil er verschwiegen hatte, zur "Legion Condor" gehört zu haben? Erst einmal kommt er zur Wismut. Aber da wird er nicht bleiben, und der Knabe Matthias wird groß. Und eben hier in diesem Buch wird er das Heranwachsen im Lande DDR beschreiben. Kein Blick zurück im Zorn, keine besonnte Vergangenheit, vielmehr ein Lächeln über die seltsamen Wege, die man so gegangen ist.
Biskupek ist ein Autor, der seine Geschichten aus dem heiteren Fach des Lebensschrankes entnimmt, aber nicht alles ist heiter. Biskupek wird ein diplomierter technischer Kybernetiker, aber da ihm das wohl zu wenig war, begann er zu schreiben. Auf Deutsch mit feinen sächsischen Akzenten. Und wenn man in 166 Jahren einmal fragen wird, wer denn das Sächsische hoffähig gemacht hat (außer Walter Ulbricht), da wird man auch ihn nennen. Und wer solches konnte, der kam zum Theater, zum Kabarett und in seinem Fall nach Rudolstadt, wo er denn noch heute lebt. In einer edlen Mietwohnung eines Hauses in der Schillerstraße.
Schiller und Biskupek? Wäre ihm die Karl-Valentin-Straße nicht angemessener gewesen? Über diesen wunderbaren Kerl hat er ein schönes Buch geschrieben. Wie er überhaupt über all seine Lebensbegleiter und Orte und Jahre Geschichten bietet, die seine Leser zum eigenen Rückblick ermuntern: Wie war das denn damals? Und so weiter. Da ist er dann plötzlich in jenem - diesem - Jahr, da aus dem Rentnerlehrling ein staatlich zugelassener Rentner wird. So sind wir mit dieser Betrachtung richtig im "Zeitfenster", wie man heute so schön sagt. Und da ist er noch immer nicht "fertsch", wie er im heimischen Tonfall äußert. Das wollen wir auch hoffen.

Matthias Biskupek. Der Rentnerlehrling. Meine 66 Lebensgeschichten. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2015, 19,95 Euro