Wohlfeil mit sprachlicher Brillanz

Wohlfeil mit sprachlicher Brillanz
von Thomas Behlert, erschienen in „Das Blättchen“ vom 27. April 2020

In den vergangenen Tagen erschienen gleich zwei neue Nummern des kleinen Gedichtmagazins „Poesiealbum“. Diese 32 Seiten schmalen Heftchen erfreuten in der DDR mit einmaligen Sammlungen viele literaturbegeisterte Menschen. Auf populäre Weise wurde dem lesehungrigen Bürger vom Verlag Neues Leben Berlin erlesene Dichtung der Vergangenheit und Gegenwart präsentiert. In 25 Jahren stellten Bernd Jentzsch und Klaus-Dieter Sommer 275 Hefte zusammen, die die Weltkulturen, darunter viele Erstauftritte, widerspiegelten. Da konnte man Lyrik von Gotthold Ephraim Lessing, Alexander Puschkin, Frederike Kempner und sogar deutsche Übersetzungen von Bob Dylan Songs lesen. Aber auch Dieter Süverkrüpp, Karl Marx, Hans Georg Stengel, Christian Morgenstern und Bernd Rump wurden einer großen Leserschar näher gebracht.
Nach der Wende stellte man die „Poesiealbum“-Reihe leider zu nächst ein, da kein Verlag mit Gewinn rechnete. Doch dann wagte sich der Märkische Verlag Wilhelmshorst an das Abenteuer Lyrik und veröffentlicht nun seit einigen Jahren erneut das „Poesiealbum“. So konnte man sich schon mit Gedichten von Immanuell Weißglas, Thomas Böhme, Therese Chromik. Alfred Grünewald und Ingeborg Bachmann auseinander setzen. Oder der Leser entdeckte die Lyrik aus der Zeit des Dadaismus, verlor sich in Weltschmerzzeilen, las Sätze der Moderne oder rhythmisch elegante bis berückend sinnliche Verse. Wer das „Poesiealbum“ abonniert hat, fand nun im Briefkasten einmal das Heft mit Werken des Nobelpreisträgers Peter Handke und des „deutschen Großmeisters des komischen Gedichts“ Thomas Gsella. Nun gut, wir wollen nicht schon wieder etwas erfahren über Peter Handke, der ja ein Dichter der besonderen Gleichmuts sein soll und einen „Trotz-Kosmos“ beackert, wie es sehr schön und verwirrend auf der letzten Seite vom „Poesiealbum“ Nummer 351 beschrieben wird. Diese 351 wiederum ist voller Satire, Humor und fast zersetzender Zeitkritik. Und alles immer schön gereimt und wohlklingend. So schreibt der feine Herr Gsella nämlich, dem das Heft gewidmet ist und der 1958 in einen nun neunköpfigen Essener Lehrerhaushalt rutschte. Nach dem Lehramtsstudium für Deutsch und Geschichte ging er als mobiler Altenpfleger, Straßenmusiker und schließlich als freier Autor unter die Leute. Bekannt wurde Thomas Gsella als Redakteur (von 1992 bis 2005) und später als Chefredakteur (bis 2008) der Satirezeitschrift Titanic. Unterwegs ist er bis heute ausgiebig, mit Hans Weil von den Biermösl Blosn oder mit der Titanic Boy Group. Aus seinen Lyrikbänden, die da u.a. heißen: „Nennt mich Gott“ (2008), „Reiner Schönheit, Glanz und Licht“ (2011), „Von Aachen bis Zwickau“ (2016) und „Festgedichte“ (2019), dem Neuesten, wählte der Rudolstädter Autor Matthias Biskupek einige wohlfeile und sehr vergnügliche Stücke aus. Jeder Reim hat Charme und sprachliche Brillanz, zeugt von Intelligenz und Wortwitz. Der Dichter Gsella, der jetzt in Aschaffenburg wohnt, kann alles bedichten und mit bissigem Humor überschütten, ob nun die Beamten, verschiedene von ihm bereiste Städte oder einfach nur die Deutschen: „Den Deutschen eint von Nord bis Süd / Die Vielzahl der Talente: / Der Lagerbau, der Genozid, / Das Bier, die Riesterrente.“Der „Ossi“ kommt, wie soll es anders sein, schlecht weg, aber die Bundeswehr noch viel schlechter: „Denn Nazis gehen am liebsten hin, / hier könnse groß was werden / Und finden ihren größten Scheiß auf Erden, …“
Diese unvergessliche Nummer 351 wird von zwei knackigen Grafiken Rudi Hurzlmeiers umrahmt.

Thomas Gsella: Poesiealbum 351, Märkischer Verlag, Wilhelmshorst 2020, 32 Seiten, 5,00 Euro