Das Jahr 2005 neigte sich
bedrohlich dem Ende zu und noch standen viele jener Ereignisse aus, die
die fünf Wirtschaftsweisen, das Intelligence-Bureau des
US-amerikanischen Präsidenten, die Wahrsagerin Crescentia, der BUND,
die päpstliche Glaubenskongregation und der Trainer des FC Bayern
München vorausgesagt hatten. Einige hinterhältige Journalisten - eine
Tautologie, gewiß - hatten nämlich am vorigen Jahresende all das
notiert, was für das kommende Jahr prophezeit worden war und rieben
sich jetzt bereits schadenfroh die dampfenden Computer, wenn dieses
sprachlich innovative Bild gestattet sein darf. Da wollen wir doch mal
Butter bei die Fische geben, sagten sie in der Diktion des besonders
ereignisreichen Jahres 1997 und setzten fort: Wir werden schlicht und
ergreifend - wie man schlicht und ergreifend seit 1992 gern schrieb -
vergleichen, was diese Umweltpäpste, diese Friedensforscher, diese
Scholl-Latour-Experten und Sinti-und-Roma-Mütter behauptet haben und
was dann wirklich passierte.
Doch es war wie schon im vorigen Jahr: Plötzlich traten Flüsse
vorhersagegemäß über die Ufer, der ganze Monat Dezember war zu warm
respektive zu stürmisch und viel zu unbeständig und unterschritt in
manchen Gegenden signifikant das langjährige Jahresmittel; jenes
vorhergesagte Erdbeben in Japan hatte sich tausend Kilometer ostwärts
verschoben und wütete nur deshalb weitgehend unbeachtet. Der
Ministerpräsident eines großen deutschen Bundeslandes trat, wie vor
Jahresfrist angekündigt, vom Rücktritt zurück, und das
Wirtschaftswachstum schnellte plötzlich auf die vorhergesagte Marke -
allerdings in Osteuropa und nicht in Thüringen, merkwürdigerweise aber
genau in jenen Zehntelprozentbereich, den die interdisziplinäre
Forschungsgruppe der Universität Jena berechnet hatte. Michael Ballack
wechselte, exakt so wie immer wieder behauptet wurde, nicht sofort, und
ein berüchtigter Terrorist ging endlich ins Netz friedenschaffender
Maßnahmen. Dafür wurde jener Schurkenstaatsmann, ganz wie von
Crescentia vorhergesagt, von einer internationalen Terrorgruppe in
einer spektakulären Aktion aus seinem Hochsicherheitsgefängnis
entführt. Die Meldung fiel genau in die Zeit zwischen den Jahren, als
die päpstliche Ankündigung, überraschend überschrieben mit "Friede auf
Erden und den Menschen ein Wohlgefallen", die Spitzenmeldung in den
Nachrichten werden sollte. Statt dessen gab es einen ARD-Brennpunkt zu
den scherzhaft "Öl-Invasoren" genannten Gruppen orientalischen
Fundamentalisten, die im Obersten Gericht der USA einen Verbindungsmann
unerkannt lanciert hatten.
Die Journalisten wechselten blitzschnell, wie es ihre Profession
verlangt, die Dateien und schrieben von sensationellen
Übereinstimmungen vieler Vorhersagen. Zum ersten Mal in der Geschichte
der Menschheit verwendeten sie den Terminus "In der Geschichte der
Menschheit" an herausragender Stelle - nicht, aber sie konnten eine
erstaunlich exakt vorhergesagte Zunahme der Wasserstände,
Trockenperioden und Hungersnöte und vor allem der blitzschnellen
Wendungen in der Weltgeschichte vermerken.
Schlußsentenz für die Leserschaft
zwischen Ostsee und Erzgebirge:
Lediglich im Hinterzimmer einer vorne gähnend leeren Kneipe in der
Lausitz war man sich einig. Dort tagte die Ortsgruppe einer auf einem
spektakulären Parteitag überraschend umbenannten wissenschaftlichen
Weltanschauungspartei. Der Plan, hieß es triumphierend, war schon
früher oberstes Gebot, und deshalb gibt es zwangsläufig auch in diesem
Jahr eine Planerfüllung auf allen Vorhersagegebieten.
Schlußsentenz für alle anderen Leser/innen und -außen:
Lediglich bei den Creationisten, die ihr neues Glaubenshaus in
Bismarck/North Dakota mit einer Dankesmesse (Tedeum Thanksgiving) am
31. Dezember einweihten, veränderte man triumphierend die geweihte
Liste (Gods Only List) aller Größten Anzunehmenden Ereignisse. Man
setzte sieben weitere Kreuze.