Pikante Briefchen

Pikante Briefchen

Als Liebesbriefbote plaudert André Meyer in Rudolstadt über Schillers Doppel(liebes)leben
Von OTZ-Redakteurin Ulrike Michael

Schiller mag ein Dichtergott gewesen sein. Einer, dessen Werke unsterblich und weltweit bekannt sind. Einer, dessen Stücke gerade im Schillerjahr wieder zum Pflichtprogramm jedes deutschen Theaters gehören. Und dennoch darf man nicht vergessen: Schiller war erst Mann, bevor er Dichter ward. Einer, der sich, nun sagen wir mal, nicht so recht zwischen seinen Musen entscheiden konnte. Also stürzte er sich im Sommer des Jahres 1788, wenige Monate, nachdem er in die beschauliche Residenzstadt, nach Rudolstadt, kam, in eine klassische Dreiecksbeziehung.
Richtig pikant wird die Herzensangelegenheit durch die Tatsache, dass sich der 28-jährige Schiller zwei Schwestern zuwandte: seiner Verlobten, späteren Ehefrau und Mutter seiner vier Kinder, Charlotte von Lengefeld, und deren älterer Schwester, Caroline von Beulwitz.
Heute wissen wir, sobald jemand dem Kreis der "Personen der Zeitgeschichte" angehört, was bei Schiller zweifellos noch tiefgestapelt wäre, dann bleiben solche brisanten Privatgeschichtchen keinesfalls privat. Erst recht nicht, wenn der große Herr Schiller selbst den Beweis dazu schriftlich in ganz bezaubernden Liebesbriefchen hinterließ: "Es war ein gar lieblicher, vertraulicher Abend, der mir für diesen Sommer die schönsten Hoffnungen gibt. Mehr solche Abende und in so lieber Gesellschaft, mehr verlange ich nicht. Rudolstadt und diese Gegend überhaupt soll, wie ich hoffe, der Hain der Diane für mich werden..." (Schiller an Charlotte von Lengefeld und Caroline von Beulwitz, im Mai 1788).
Die Rudolstädter - verschwiegen, wie sie nun mal sind - plaudern 217 Jahre später die "Schillernden Geheimnisse" ganz öffentlich aus. Schließlich schaut doch jeder gern durch fremder Türen Schlüsselloch - sobald sich nur die Gelegenheit bietet. Dafür sorgt kein geringerer als der Liebesbriefbote André Meyer, der seit Mitte Mai regelmäßig an den Wochenenden durch die Rudolstädter Innenstadt lustwandelt, aus dem Nähkästchen plaudert und auf all die interessanten Türen und jene dazugehörenden Gebäude hinweist, zu denen der berühmte Dichter ein Verhältnis hatte. Zu Schillers Zeiten, da es noch kein Telefon und keine SMS gab, übernahmen jene dienstbaren Boten das Überbringen kleiner (Liebes)Nachrichten wie dieser: "gestern Abend blieb ich nicht Herr meines Thuens und heute bin ich auf einem eingeladenen folglich späten und langen Diner, werde mich aber wegzustehlen suchen" (Schiller an Caroline von Beulwitz, August 1788). André Meyers Ururururgroßvater war im Geschäft der privaten Nachrichtenübermittlung für Schiller tätig. Als Nachfahre ist der 19-Jährige nun in die historischen Kleider geschlüpft, um sein Erbe anzutreten und zugleich ein weiteres Angebot in der Sonderführungsreihe "Rudolstadt & Residenzgeflüster" aus der Taufe zu heben. Veranstaltet wird diese Reihe von der Tourist-Information in Kooperation mit dem Thüringer Landesmuseum Heidecksburg, in Szene gesetzt vom Rudolstädter theater-spiel-laden. Übrigens befindet sich der auskunftsfreudige Bote in überaus guter Gesellschaft. Denn schon vor seiner Zeit sind der Hofpage und die Kammerzofe auf Schloss Heidecksburg und der Buckelapotheker in den Thüringer Bauernhäuser ins Plaudern über intime Geheimnisse geraten. Entsprungen sind die "Schillernden Geheimnisse" dem Geist des Rudolstädter Schriftstellers Matthias Biskupek. Er hat im Vorfeld etliche Schiller-Biografien auf brisante Details durchforstet und die Rudolstädter Liebesbriefchen, die im Original größtenteils im Archiv der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen liegen, gelesen und daraus einen herzerfrischenden Monolog samt 35-seitigem Drehbuch zu den 16 Stationen geschrieben. "Die Fakten stimmen. Caroline hat die Verlobung ihrer Schwester mit Schiller angezettelt. Eigentlich wollte sie ihm nah sein, war aber dummerweise selbst schon verheiratet und deshalb verkuppelte sie beide", plaudert diesmal Matthias Biskupek über die damaligen Frauenzimmer von Rudolstadt. Und weiter ist zu erfahren, dass auch besagte Caroline keine Kostverächterin war und fünf bis sechs verbriefte Liebschaften gehabt haben soll.
Mehr Details dazu hat vielleicht auch André Meyer in einer seiner vielen Jackentaschen versteckt, in denen er permanent die kleinen Zettelchen mit amourösem Inhalt sucht. Ihm ist die Rolle förmlich auf den Leib geschrieben - obwohl er selbst, wie er gesteht, noch nie einen "richtigen" Liebesbrief verfasst hat. Aber er ist ja auch "nur" der Überbringer selbiger. "Ich habe Schiller als Schiller-Schüler früher gehasst und dachte immer, der konnte kein Mensch sein. Doch seine Frauengeschichten und Schattenseiten machen ihn mir heute sympathisch", gesteht der Zwölftklässler.
Mittlerweile ist aus dem Ideal Schiller für den jungen Liebesbriefboten wieder ein Mensch geworden. Besser gesagt, ein Mann, der sich nicht entscheiden kann und deshalb... Aber hören und staunen Sie selbst!

Wochenendbeilage der Ostthüringer Zeitung vom 25. 6.2005