Krieg um die Grenzen der Rezension
Ein Lehrstück in bisher fünf
Bataillen
Zusammengestellt,
mit Auslassungen und Anmerkungen versehen von Matthias Biskupek
Strategische Ausgangslage:
In Dietzhausen lebt der
Schriftsteller Landolf Scherzer. Von der Zeitung „Freies Wort“ erhält er den
Auftrag, über die alte Grenze zwischen dem einstigen Bezirk Suhl und der
Bundesrepublik zu schreiben. Scherzer wandert, schreibt und veröffentlicht im
Jahre 2005 seine Reportagen im „Freien Wort“. Pünktlich zum 3. Oktober erscheint
das Buch „Der Grenz-Gänger“ im Aufbau-Verlag. Zum 65. Geburtstag Scherzers im
April 2006 gibt es von Heinz Stade zudem ein Porträt in der größten Thüringer
Tageszeitung „Thüringer Allgemeine“ in dem u. a. steht, dass bei Scherzer der
Dichter Walter Werner, der Publizist Günter Wallraff und andere (siehe Fußnote)
zu Gast waren.
Bereits in den neunziger Jahren ist der aus den alten Bundesländern
nach Meiningen zugewanderte Publizist und seit vielen Jahren Politikwissenschaft
studierende Hans-Joachim Föller am „Freien Wort“ angestellt, wird aber, aus
welchen Gründen auch immer, ab 1997 nicht mehr weiter beschäftigt.
Außerdem wirken in Thüringen der Stadtrodaer Publizist Udo
Scheer, der vor allem Bücher zur DDR-Problematik rezensiert und für die Adenauer-Stiftung
über DDR-Leben referiert und der Schriftsteller Matthias Biskupek, mit Scherzer
befreundet.
Erste Bataille
Beginnend im Dezember 2005
rezensiert Hans-Joachim Föller Scherzers „Grenz-Gänger“. Zunächst im Berliner „Tagesspiegel“,
später in weiteren Publikationen, jeweils fast wortgleich. Da er im
„Tagesspiegel“ behauptet, Scherzer erfinde und fälsche Zitate, wendet sich
Scherzer mit der Bitte um Gegendarstellung an die Zeitung. Die reagiert nicht.
Scherzer ruft den deutschen Presserat an.
Zweite Bataille:
Matthias Biskupek hat
inzwischen in mehreren Zeitungen die immergleiche Rezension Föllers zu Scherzer
gefunden und fühlt sich zu einer Glosse in der Berliner Zweiwochenschrift
OSSIETZKY (Heft 6/06) herausgefordert:
„Der
zentralistische Ideologe:
Gelegentlich reibt man
sich morgens die Augen und meint, es sei gestern. Vor allem, wenn man
Tageszeitungen liest. So fand sich kürzlich im Berliner ‚Tagesspiegel’,(...) die ‚Rezension’ geheißene ideologische Zurechtweisung
eines Buches (...)
Der Zurechtweiser (...) schien äußerst ungehalten. Das Buch
vermittle ein ‚manichäisches Weltbild’; es verzerre die Wirklichkeit. Scherzer
sei alter SED-Propagandist. Solche Töne kannte ich von früher, wenn Allwissende,
die ihren Marxismus mit Löffeln gefressen hatten, Künstlern die Welt erklärten.
(...)
Ich lebte und las weiter - und fand bald darauf in zwei thüringischen
Blättern (...) wieder verzerrte Weltbilder. Nanu, dachte ich, da verdient also
der arme Föller mit immergleichem Text mühselig sein Geld – doch will man es
ihm verdenken? Vielleicht ist er Opfer ohne Opferrente?
Dann guckst Du eben mal in eine süddeutsche Zeitung (...).
Doch was fand ich? Richtig, lieber aufmerksamer Leser, ich fand den guten
Hans-Joachim mit all seinem, mir inzwischen wohlvertrauten, ideologischen
Schaum vorm Mund.
Tief
tauchte ich jetzt die Feder in die Tinte – das ist bildlich gesprochen, denn
Literatur, liebe Leser, arbeitet mit Bildern - und schrieb dieser großen
Zeitung:
‚Zum wiederholten Mal muss
ich jetzt die Meinung von Hans-Joachim Föller (...) lesen. Gibt es neuerdings
eine ‚zentrale Argumentation’, wie früher in der DDR, oder hat sich hier nur
ein kalter Krieger ins Gebiet der Literaturrezension verirrt?
Der Autor wirft Landolf Scherzer - kein ‚SED-Propagandist’, sondern seit
Jahrzehnten literarischer, in der DDR oft gemaßregelter Publizist von Rang –
‚irreführende Zitate’ vor. Mit Scherzers ‚schlichtem Weltbild’ werde ‚ein
Zerrbild der wirklichen Verhältnisse (konstruiert)’.
Die
Wortwahl im Beitrag erinnert mich fatal an einstige parteiideologische
Zurechtweisungen, die Schriftstellern schon immer ein falsches Weltbild
unterstellten. Man muss auf den Gedanken kommen, Hans-Joachim Föller gehöre der
Ideologiekommission der SED-Kreisleitung Hildburghausen an - doch die hat sich
ja zum Glück bereits vor fünfzehn Jahren erledigt.“
Dritte Bataille
Scherzer hat vom Presserat
Antwort bekommen – und auch Hans-Joachim Föller erhielt Kunde von der Glosse in
OSSIETZKY. In vielen Mails wendet er sich immer und immer wieder an die Redaktion.
Diese sieht sich zu einer Antwort veranlasst:
„Hans-Joachim Föller, Erfinder, Meiningen:
Sie haben mit etwas Verspätung den Beitrag ‚Der zentralistische Ideologe’
gelesen, in dem Ihr Privatkrieg gegen das Buch ‚Der Grenz-Gänger’ von Landolf Scherzer
glossiert wurde. In mehreren Printmedien hatten Sie in der Art eines Parteisekretärs
festgestellt, daß Scherzer ein nicht von Ihnen zugelassenes Weltbild vertrete.
Bei den Medien, hieß es in unserem Beitrag, habe es sich u. a. um zwei
thüringische Zeitungen gehandelt.
Dazu
korrigieren wir gern: Die eine thüringische Zeitung hieß ‚Sächsische Zeitung’,
eine andere ‚Bonner Generalanzeiger’, eine dritte ‚Süddeutsche Zeitung’. In
Thüringen erschien Ihr Beitrag wirklich nur zweimal: Im Jenaer Journal ‚Gerbergasse’,
sowie als umfangreiches Zitat in der ‚Südthüringer Zeitung’. Wir korrigieren
also die von Ihnen angemahnte ‚falsche Tatsachenbehauptung’, bzw. wie Sie in
Ihrem unnachahmlichen Deutsch schreiben: ‚Entscheidend ist nur, ob Sie Ihre
Leser über die falsche Tatsachenbehauptung korrigieren.’
Das Korrigieren von Lesern überlassen wir weiterhin Ihnen,
wir korrigieren hingegen immer gern unsere Texte.
In
diesem Zusammenhang ist es übrigens interessant, daß der ‚Tagesspiegel’, jenes
Blatt, in dem Sie Ihren Privatkrieg gegen Scherzer begannen, einen ‚Hinweis’
vom Deutschen Presserat just Ihres Beitrags wegen erhalten hat. Ihre Behauptung,
daß Scherzer mit ‚erfundenen Zitaten’ arbeite, entspreche nicht der Wahrheit
und stelle einen Verstoß gegen Ziffer 2 des Pressekodex dar.“
Vierte Bataille
(Hinter Büschen, vor der
Öffentlichkeit versteckt)
Föller hat inzwischen in
der „Frankfurter Rundschau“ einen Text von Matthias Biskupek mit dem Titel „Die
Akten der anderen“ gefunden, in dem eine gewisse Stasi-Aufarbeitung glossiert
wird, und teilt dieser Zeitung, wie auch OSSIETZKY inoffiziell mit, man möge
sofort über das entsetzliche Stasi-Vorleben von Biskupek informieren. Die
Zeitungen tun nichts dergleichen, informieren aber Biskupek über das Ansinnen
Föllers. Biskupek teilt Föller, wiederum nichtöffentlich, mit, er könne in dem öffentlich
zugänglichen Buch von Udo Scheer (wir erinnern uns, der Stadtrodaer Publizist) „Vision
und Wirklichkeit – Die Opposition in Jena in den achtziger Jahren“, Christoph
Links, Berlin 1999, auf den Seiten 20, 36, 67, 78, 89, 95-99 und 106 nachlesen,
da stünde vieles über Biskupeks Stasi-Karriere. Im übrigen
könne er ihn auch direkt fragen. Föller stellt den Briefwechsel ein, versucht
aber mit Anrufen bei Biskupeks Ehefrau zu recherchieren.
Fünfte Bataille
Die „Frankfurter Rundschau“
veröffentlicht am 18. 08 06 einen Text von Udo Scheer, in dem er einen
„Rufmord“ an Hans-Joachim Föller beklagt:
„Verzerrung
als Prinzip
Thüringer Medien-Seilschaften gegen einen als
Außenseiter angesehenen Journalisten
Es ist selten etwas zu
hören von Medien-Kontroversen in Thüringen; derzeit aber lässt eine neu
aufgelegte Rufmordkampagne aufhorchen, deren Ziel der Meininger freie
Journalist Hans-Joachim Föller ist. Der hatte Ende vergangenen Jahres den Reportageband
Der Grenz-Gänger von Landolf Scherzer und dessen selektive Wahrnehmungen
aus dem ehemaligen Grenzgebiet Bayern, Hessen und Thüringen gegenrecherchiert.
Das Ergebnis war ein Totalverriss: ‚Scherzer … arbeitet mit verfälschten,
irreführenden und erfundenen Zitaten und konstruiert ein Zerrbild von den wirklichen
Verhältnissen.’ (Tagesspiegel 12.12.05).
Das
Echo auf Föllers Rezension war Empörung auf Seiten derer, sie sich dem linken
Spektrum zurechnen: Scherzer sei ‚zu DDR-Zeiten mit Berufsverboten belegt und
musste sich gegen Ermittlungen wegen Staatshetze zur Wehr setzen’ (junge
Welt, 25.03. 06) (...)
Mehrfach weist der Kritiker Föller Scherzer
‚Vernebelung’ nach und kommt zu dem Schluss, dieser Grenzgänger bewege sich ‚an
Argumentationslinien entlang, wie sie heute im PDS-Milieu verbreitet sind.’
Dabei zeichnet er ‚alles originär Bundesdeutsch-Westliche als negativ, das
DDR-Östliche … als positiv’.
Landolf
Scherzer, Vorsitzender des kleinen Thüringer Schriftstellerverbandes, findet
Anerkennung heute vor allem im Umfeld der PDS. In einem Beitrag zu seinem 65. Geburtstag
lobte ein Journalist die ‚mit den Jahren gewachsene Toleranz des Idealisten’ (Thüringer
Allgemeine, 01.04.2006). Als ‚Indiz’ dafür nannte er Besuche von Markus
Wolf, dem Ex-HVA-Geheimdienstchef des MfS, und Klaus Höpcke, dem DDR-Zensurminister,
bei dem in seinem Waldhäuschen am Rande von Dietzhausen im Thüringer Wald
lebenden Schriftsteller Scherzer.
Nach dem Verriss des Grenz-Gängers
forderte Scherzer vom Tagesspiegel eine Gegendarstellung. Als der
ablehnte, erhob Scherzer Beschwerde beim Deutschen Presserat in Bonn. Und hatte
Erfolg, wenn auch nur mit einem, nicht einmal veröffentlichungspflichtigen,
‚Hinweis’. Zwei Sachverständige bestätigten inzwischen, Föller habe keinen Fehler
gemacht und der Tagesspiegel den ‚Hinweis’ zu Unrecht erhalten.
Das
hinderte das PDS-nahe Blatt Ossietzky in der Ausgabe 14/2006 nicht zu behaupten,
Hans-Joachim Föller,(...) sei vom Deutschen Presserat ‚gerügt’ worden - und
suggeriert damit einen schweren Verstoß gegen den Pressekodex.
Zuvor
hatte bereits der Thüringer Autor Matthias Biskupek schon gegen Föller Stellung
bezogen (...)
Der
1992 aus Hessen zugezogene Hans-Joachim Föller ist einer, der stört. (...) Über
seine Erfahrungen mit der ehemaligen SED-Bezirkszeitung Freies Wort (...)
sagt er: ‚Diese Zeitung geht besonders rücksichtsvoll mit den ehemaligen
DDR-Funktionseliten um.’
Bei
der Frage, was in der Öffentlichkeit wie debattiert wird, lassen sich alte
Kader offenbar ungern hineinreden. Wohl auch deshalb hatte Gerd Schwinger,
Chefredakteur von Freies Wort und früher SED-Journalist, der Tagesspiegel-Chefredaktion
gegenüber Föller als einen Journalisten bezeichnet, den ‚etliche Zeitungen …
wegen der Unseriosität … nicht mehr publizieren.’ Dazu Föller: ‚Ich kenne keine
einzige.’
Da
passt ins Bild, wie das Freie Wort mit Föller umging. Die Zeitung
titelte: ‚Presserat urteilte: Falsche Unterstellungen gegenüber Scherzer’, und
formulierte als Bildunterzeile: ‚Kritiker Föller: Schwierigkeiten mit der
Wahrheit.’“
Die Schlacht ist noch im
vollen Gange, denn nun wieder antwortet OSSIETZKY:
„Frankfurter Rundschau
(SPD-nah) (...) Auf Ihrer
Medien-Seite bezeichnen Sie Ossietzky
als „PDS-nah“, als hätte die PDS bei uns Anteile wie die SPD bei Ihnen (...) oder
als zahlte uns die PDS Zuschüsse – die wir von keiner Partei nehmen würden. Im
selben Artikel versuchen Sie gleich noch den Schriftsteller Landolf Scherzer,
der auch schon mal für Ossietzky geschrieben
hat, mit solchen Argumenten zu erledigen wie dem, daß er „Anerkennung heute vor
allem im Umfeld der PDS“ finde, und Sie empören sich über „Thüringer
Medien-Seilschaften“ – als wäre nicht die Thüringer Presse längst fest in der
Hand westdeutscher Medienkonzerne, so wie Sie neuerdings mehrheitlich dem
Kölner Monopolverlag DuMont gehören, über dessen Nazi-Vergangenheit Sie
schweigen. Eigentumsverhältnisse ändern das Wahrnehmungsvermögen.“
Fußnote
zum Anlaß des thüringischen Rezensionskrieges
In der
„Tagesspiegel“-Rezension hatte Föller behauptet, Scherzer fälsche und erfinde
Zitate. Der „gegenrecherchierte“ (FR) Beweis: Scherzer, habe einen bayerischen
Bürgermeister, von dem ein bayernfeindliches Zitat im Buch stünde, nie gesprochen.
Auf Seite 226 des Buches „Der Grenzgänger“ ist schwarz auf weiß nachzulesen:
Scherzer hat wirklich nie mit jenem Bürgermeister gesprochen. Er hat das aber
auch nie behauptet.
Deshalb wünschte Scherzer eine Gegendarstellung. Deshalb rief
er den Presserat an. Deshalb stellte der Presserat fest, Föllers Behauptung
gefälschter und erfundener Zitate stelle einen Verstoß gegen den Pressekodex
dar. Welche „Sachverständigen“ arbeiten nun an weiteren Deutungen der Seite
226?
Scheer erwähnt in seinem Artikel auch nicht einen weiteren
wichtigen Besucher der Scherzerschen Waldhütte: Hans-Joachim Föller. Der saß
just auf dem Platz, auf dem der wachsame Rufmord-Rufer die DDR-Kreaturen Höpcke
und Wolf entdeckte. Föller wollte von Scherzer wissen, wie man einen Streik
organisiere. Einen Streik gegen die Chefs vom „Freien Wort“ (SPD-nah). Wir erinnern
uns der Strategischen Ausgangslage und schließen den Kreis allgemeiner Mobilmachung.
(September
2006)