Ein Vorlesebuch für vergnügliche Stunden
Zu: Matthias Biskupek: Eine moralische Anstalt. Roman mit richtigen Requisiten, letzten Vorhängen und Theaterblut. Eulenspiegel Verlag Berlin, 176 S., 9.90 Euro.


"Moralische Anstalt" - der einst von Schiller geprägte, mit hohen Erwartungen verbundene Begriff für das Theater, hatte nicht nur im 20. Jahrhundert eine eher banale Seite. Da schlief doch zuweilen ein Intendant mit einer Elevin, und die Hauptdarstellerin hatte gleich zwei Liebhaber. Vielleicht vollzog sich das etwas auffälliger und spektakulärer als bei den angeblich biederen Kleinbürgern des Städtchens, aber es war doch eben menschlich und geeignet zu den schönsten Klatschgeschichten. Zu DDR-Zeiten wurde diese banale Seite noch erweitert durch weniger verzeihbare gegenseitige Überwachungen, Spitzelberichte, Maßnahmepläne.
Biskupeks moralische Anstalt dieser Art liegt in einer Kleinstadt - jeder kennt fast jeden, Besetzungsvertretungen wachsen sich aus zu Katastrophen, das entscheidende Politbüro befindet sich in der nächstgelegenen zwar größeren, aber ebenso provinziellen Stadt. Die verantwortlichen Funktionäre sind überfordert und reichlich dumm und fürchten den Zorn von oben. Aber die jungen Verrückten, die es an jedem kleinen Theater gibt, haben noch Hoffnungen und Pläne und merken nichts von der grassierenden Unmoral.
"Richtige Requisiten, letzte Vorhänge und Theaterblut" verspricht der Spötter Biskupek und verrät, dass er alles weiß, wie es an einer solchen Anstalt zugegangen ist. In der Pause - heißt: der Mitte des Buches - schildert er ebenso bissig die Zukunftsaussichten und die "Moral" seines Theaters im event-Zeitalter. Jede Seite des Buches ist ein eigener Spaß, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Biskupek ist ein Wortakrobat und Meister beim Beobachten und Beschreiben des Allzumenschlichen. Nach mindestens zwei Sätzen hat er eine unsichtbare Pause gesetzt, damit der Leser Zeit zum Schmunzeln hat. Am besten, man liest oder lässt vorlesen, denn das ist ein Vorlesebuch feinster Art, von vorn bis hinten.

Christel Berger