Moralanstalt
Matthias Biskupek über deutsch-deutsche Befindlichkeiten und die Bretter, die die Welt bedeuten II
Von Hanno Harnisch


Schwups, da wird sie gleich wieder vermutet, diese wohlige Nostalgie. Oder ist es die unbarmherzige Aufarbeitung des Unrechtsstaates? Wer einen Roman über die DDR schreibt, will sich in die Nesseln setzen. Angefeindet wird er eh, gelobt auch, jeweils von anderen Parteien. Schubladen werden aus Brettern gemacht, aber eher aus welchen, die vor den Kopf genagelt sind.
Von Brettern, die die Welt bedeuten, schreibt Matthias Biskupek in seinem jüngsten Roman. Vom Theater. Und das ist bekanntlich "Eine moralische Anstalt", um gleich mal Schiller ins Spiel zu bringen. Biskupek schreibt von einem ganz bestimmten Theater, an dem Goethe vorzeiten mal Direktor war, der es seine "Bratwurstbude" nannte. Er nimmt uns mit in sein Theater, in dem er sich nach einem Casting, das damals noch Kadergespräch hieß, widerfand als "Regieassistent mit Spielverpflichtung". Er weiß, wovon er schreibt, war er doch nach seinem Kybernetikstudium ein paar Jahre am Theater "unter der Schnauferlburg" in Rudolstadt, der Stadt, in der er heute wohnt.
Dieses Theater ist Biskupeks unheimliche Liebe. Er schreibt warm, detailgetreu und plastisch. Stellt uns Menschen aus Fleisch und (Theater-)Blut vor. Heike, die vor der Premiere mit "Hans", danach mit "Otto" ins Bett steigt. Oder den Schauspielleiter Bernt Violiné, "der nicht in der Partei ist, was schon ein Problem darstellt". Dafür soll Gerhard Kanthe vom "ZK Süd" nach dem Rechten sehen bei den politisch hochgradig unzuverlässigen Theaterleutchen. Und auch Janni Maus, die Theaterreferentin, ist hin und hergerissen. Wie schnell kann doch die Konterrevolution marschieren, wie schnell könnte alles vorbei sein, wenn man nicht wachsam ist. Und so spickt Biskupek seine feinen Theatergeschichten mit der groben Prosa der IM-Berichte, die von "Oltn. Rohrscheich" der Nachwelt überlassen wurden. Und er wagt auch immer wieder einen Exkurs aus den 70ern in Rudolstadt zu dem, was seine Helden heute so im Theater und in der Welt treiben.
Der Beschreibung einer Zeit, "da die Welt noch nicht in Ordnung war und die Theater keine Mängelbedarfsklagen hatten, sondern einen Anspruch", können wir in diesem schelmischen Theaterroman beiwohnen. Das ruft eigene Erinnerungen wach. Fiktive Figuren mischen sich mit realen, Vergangenheit mit Gegenwart und Zukunft, Männlein mit Weiblein und Kunst mit Können und Kontrolle. Ähnlich wird es in Anklam, Senftenberg oder Altenburg gewesen sein. Der operative Vorgang "Comoediant" hat genauso - oder so ähnlich - stattgefunden. Biskupek hat ihn in einen Roman gegossen. Ganz anders als Ingo Schulze. Aber mindestens ebenso unterhaltsam.

Matthias Biskupek: "Eine moralische Anstalt", mit Illustrationen von Ioan Cozacu, Eulenspiegel, 9,90 Euro