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Produktiver Unruhestifter
Rudolstadt. (tlz) "Eine moralische Anstalt - Roman mit richtigen
Requisiten, letzten Vorhängen und Theaterblut" heißt das jüngste Werk
des Rudolstädter Schriftstellers Matthias Biskupek
(Eulenspiegel-Verlag, Berlin, 176 Seiten mit Vignetten von Nel, 9.90
Euro). Ein Schelm, wer bei den heiteren "Enthüllungen" aus dem
DDR-Provinztheaterbetrieb nicht an die heimische (Rudolstädter) Bühne
denkt, zumal der Autor dort praktische Lehrjahre verbracht hat. Wir
sprachen mit dem Autor über die Verflechtung von wirklicher und
literarischer Wahrheit.
In den 1980er Jahren hat ein gewisser
Matthias B. in Rudolstadt Theaterblut geleckt ...
Schon in den 70ern.
Ist dieser Matthias mit dem
Regieassistenten Matti in Biskupeks Roman "Eine moralische Anstalt"
verwandt?
Entfernt verwandt, ja.
Was sind denn entfernte Verwandte?
Leute, die oft voneinander hören, aber sich nur selten sehen. Ich habe
von 1976 bis 79 am Rudolstädter Theater und noch ein paar Jahre am
Geraer Kabarett gearbeitet, und in dieser Zeit war ich alles Mögliche,
auch Regieassistent.
Der Thüringer Leser identifiziert
schon nach wenigen Seiten die Anstalt
unter der "Schnauferlburg" als sein Landestheater Rudolstadt.
Zu mir
haben auch Leute gesagt, das ist doch das Theater Meiningen!
Das waren sicher Meininger.
Richtig. Ich hab' ihnen entgegnet, das Meininger ist doch kein kleines,
sondern ein großmächtiges Theater.
Die Rudolstädter Lokalitäten sind so
genau und liebevoll beschrieben, die kann man gar nicht verwechseln!
Was hast du dort erlebt, dass du erst jetzt darüber berichtest?
Theater mit Leib und Seele und eine Aufbruchsstimmung in den Zeiten der
Stagnation. Ich habe zunächst darüber ein Feature gemacht und die
realen Personen wieder aufgesucht und befragt, mit denen ich vor 30
Jahren am Theater war. Danach bekam ich Lust, den Stoff auch romanhaft
zu verarbeiten.
Am Ende des Buches verwahrt sich der
Autor Matti B. davor, dass zwischen lebenden und Romanmenschen ein
Gleichheitszeichen gesetzt wird. Aber der Klaus Fiedler,
im Buch Oberfiedler genannt, hat im realen Theaterleben eine führende
Rolle gespielt.
Den habe ich nicht erfunden, der war damals Oberspielleiter in
Rudolstadt.
Und wieso war er so gefährlich, dass
er und alle Leute um ihn herum überwacht worden sind?
Dieser Fiedler war für Rudolstadt ein produktiver Unruhestifter. Zu
seinem Kreis gehörten auch der bekannte Stückeschreiber Werner Buhss
und der Regisseur Herbert Olschok, der heute in Dessau ist. Klaus
Fiedler kam mit einer ganz jungen Truppe, und zusammen mit ein paar
Alteingesessenen versuchten sie, interessantes Theater zu machen.
Solche Experimente gab es damals an verschiedenen kleineren
DDR-Theatern, zum Beispiel in Anklam, Eisleben, Senftenberg oder
Altenburg. Das ging bis dahin, dass man einen Großbetrieb als Träger
des Theaters gewinnen wollte, um nicht länger vom Rat der Stadt, vom
Rat des Bezirkes oder von Oberräten in Berlin abhängig zu sein.
Wie lange konnte so etwas gut gehen?
Es hat eine Weile funktioniert und dann nicht mehr, weil die Leute
auseinander drifteten. Im Einzelnen wollte man zu Verschiedenes.
Der Versuch ist nicht an
Restriktionen gescheitert?
Doch, auch. Sowohl an staatlichen Restriktionen als auch an den selbst
geschaffenen chaotischen Verhältnissen. Die Rudolstädter glaubten, sie
könnten die Rechnung ohne den Parteiwirt machen.
Im Buch wird das Theaterleben unter
der Schnauferlburg aus zweierlei
Perspektive geschildert: aus Sicht des mehr oder weniger beteiligten
Erzählers und aus den Akten einer mutmaßenden, da schlecht informierten
Behörde.Sind die
kabarettistisch anmutenden
IM-Protokolle frei erfunden?
Nein, die gibt es wirklich. Ich habe zum Teil wörtlich daraus zitiert
und nur manchmal den "schönen" sprachlichen Besonderheiten noch einen
kleinen grammatischen Schlenker hinzugefügt.
Was ist oder war an einem
Provinztheater so gefährlich, dass die Stasi ihm so große
Aufmerksamkeit widmete, wie im Buch durch den Operativen Vorgang
"Comoediant" zum Ausdruck kommt?
Das hatte damit zu tun, dass kreative Köpfe zusammen kamen, die man
unter Kontrolle kriegen wollte. Mit bildenden Künstlern wurde genauso
verfahren - ein Ausdruck der Angst der Herrschenden vor der
Intelligenz. In Kleinstädten bündelte sich das wie unter einem
Brennglas. Vor allem an den Theatern, an denen eine illustre
Gesellschaft zusammenkam. Viele "Antragsteller" flogen aus ihren
Betrieben und wurden bis zur Ausreise in den Westen als Bühnenarbeiter
beschäftigt.
Im Buch gibt es auch provinzielle
Kulturverwalter, die hin und her gerissen sind zwischen ihrer Liebe zum
Theater und der Treue zur Partei - Janni Maus etwa.
Im realen Leben war Janni Maus eine Theaterreferentin, deren Herz am
Theater hing. Und selbst Funktionäre wie Gerhard Kanthe wollten mit
aller Macht etwas für die Kunst tun, natürlich unter der Maßgabe: Es
darf uns nicht aus dem Ruder laufen. Im Gegensatz zu kunstfeindlichen
Kadern, die es auch gegeben hat, sind das echte dramatische Figuren,
weil sie den Widerspruch in sich haben.
Warum gibt dein Erzähler dem
Provinztheater keine Zukunft?
Weil der Theaterbetrieb am Gelde hängt. Es wird immer mehr Geld für
immer weniger Inszenierungen gebraucht. Um das Stadttheater zu retten,
wird man andere Strukturen finden müssen ... Ehrlich gesagt, ich weiß
es auch nicht. Ich habe nur mal einiges durchgespielt, satirisch
überzeichnet, ins Absurde und Bösartige verkehrt.
Der sonst allwissende Erzähler
zweifelt?
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Nach einem wunderbaren Vorspiel und
Prolog vor dem Theater mutiert der Roman mehr und mehr zum Diskurs mit
belletristischen Zügen. Er ist wie ein Theaterereignis gegliedert, und
von der Planstelle bis zum Künstlerischen Betriebsbüro wird alles
beispielhaft für Ost- und Westbürger erläutert. Literatur oder
künstlerische Theaterbetriebswirtschaftslehre?
Ich denke, dass Literatur alles darf, wenn sie es kann. Das ist doch
keine Erfindung von mir. Schon Dichter wie Grimmelshausen haben
scheinbar sachliche Formen benutzt, um etwas belletristisch zu
erzählen. In jedem meiner Kapitel - egal ob sie "Malsaal", "Fechten"
oder "Spektakel Zwo" heißen - erzähle ich auch eine Geschichte. Aber
ich gebe zu, die "Pause" als auch der ganze Anhang dienen eher einem
Theaterdiskurs, der in die heutige Zeit reichen soll. Da spricht
vielleicht der Satiriker, der Polemiker oder Agitator aus mir.
Spott ist Waffe, könnte man sagen.
Wofür kämpft dieses Buch?
Dafür, dass wir uns erinnern, was für wunderbare Theater es gab.
Gab?
Das Rudolstädter ist natürlich immer noch wunderbar.