Jens-F. Dwars
Die Heimat im Osten

Streifzüge durch den Thüringer Kräutergarten. Verlag Faber & Faber. Leipzig 2007. 144 S., EUR 22,90.

Eine moralische Anstalt. Roman, mit Illustrationen von Ioan Cozacu, Eulenspiegel Berlin 2007, 176 S., EUR 9,90.

Wenn Autoren in die Jahre kommen, dann schreiben sie ihre Memoiren oder wenigstens ein Heimatbuch. Biskupek hat beides getan, doch beides auf ganz eigene Art: Bei Faber & Faber lädt er zu Streifzügen durch seinen Garten ein. Der beginnt hinter Rudolstadt und zieht sich rings um das Schwarzatal herum bis zum Rennsteig hinunter oder hinauf, rauf und runter, über Berg und Tal.
Mit dem schönsten Kraut, das gegen alle Miesepetrigkeit der Welt gewachsen ist, mit leichtfüßigem Humor hat er seine Heimat durchwandert und doch kein heimeliges Buch verfasst. Statt das Rennsteig-Lied zu singen, summt er uns eine Melodei aus halb vergessenen, halb verdrängten Kindertagen ins Gedächtnis: "Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer ..." Erinnern Sie sich? Ein kitschverdächtiges Lied, das im Westen gern zitiert wird, um die Piefigkeit des Ostens zu belegen, bei Biskupek wird es zur Umwelthymne der DDR-Kabaretts.
Von diesem Doppelblick ist das ganze Buch durchzogen: Es verklärt nicht die Heimat zum idyllischen Weltersatz, sondern entdeckt in ihr eine eigene Welt voller Widersprüche. Olitätenland nannte man die Gegend einst, nach den Ölen, Likören und Essenzen, die vom Thüringer Schiefergebirge aus in alle Richtungen von Europa gingen. Und das im wortwörtlichen Sinne: als Buckelapotheker vertrieben die Kräutersammler ihre Schätze zu Fuß. Nicht aus Fernweh, aus Not wanderten sie von Land zu Land.
Wie es ihren Nachfahren ergeht, die in Kleinstbetrieben noch immer ihre Liköre brennen, welche Geschichten und Legenden sie einander erzählen, vom Erfinder des Kümmerlings über Wickersdörfer Wandervögel bis hin zu Rasselböcken und Hanghühnern – von alledem berichtet dieses wundersam welthaltige Heimatbuch.
Auch das andere Bändchen hat es in sich: eine "moralische Anstalt" sollte das Theater nach Schiller sein. Biskupek macht die Probe aufs Exempel und kramt in seinen Erinnerungen. Denn von 1976 bis 1979 war er Regieassistent am Rudolstädter Theater.
Wie in einem Episodenfilm führt er uns durchs ganze Haus und gewährt mehr als einen Blick hinter die Kulissen, auf die Bretter, die eine scheinbar nur vergangene Welt bedeuten. Indem er das gerade erzählte Geschehen oft noch einmal, quasi im Zeitraffer, in (fiktiven) Berichten von Horch & Guck fixiert, wird ganz nebenbei das Absurde heutiger Realbemühungen kenntlich, die gemeinsame Vergangenheit aus eben solchen "Akten" rekonstruieren zu wollen.
So möchte man lachen und weinen zugleich, über das Einst und ein Heute, das zuweilen über die eigenen Stelzen stolpert.