Bühnenreifer Biskupek im Kleinen Klassiker

Bühnenreifer Biskupek im Kleinen Klassiker

Tilo Kummer serviert am Freitagabend Theater-, Lese- und Gesprächskultur im historischen Rathaus in Hildburghausen
Von Katja Wollschläger

Hildburghausen - Wir schreiben das Jahr 20 nach der DDR. Das dritte Jahrzehnt bricht an - und verzaubert die Vergangenheit, holt sie in die Gegenwart. Bühnenreif. So geschehen am Freitagabend in Hildburghausen.
"Sitzen sie bequem?", fragt da ein bebrillter Endfünfziger. Matthias Biskupek heißt er, der dunkelhaarige Hauptdarsteller des Abends, engagiert vom Die Linke-Landtagsabgeordneten Tilo Kummer. Er hat zu einem Neujahrsempfang im Superwahl- und Jubiläumsjahr eingeladen. Seine Mitstreiter, Unterstützer, Sympathisanten. Kreisstadtbürgermeister Steffen Harzer ist gekommen, Eisfelds Bürgermeisterin Kerstin Heinz auch - und noch viele, viele andere. Die Plätze gingen aus. Und so ist in der Stadt- und Kreisbibliothek "Joseph Meyer" aufgestuhlt worden. An die hundert Frauen und Männer wollen das Theater miterleben.
Ein Stück, das in Hildburghausen Bedeutung bekommen hat. In den vergangenen Jahren. Die Kreisstädter haben ihr eigenes Theater mit enormem Kraft- und Euroaufwand aufpoliert - und arbeiten an neuen Aufführungen und Inszenierungen. Von einem ganz bestimmten träumt Tilo Kummer. Es könnte mit "Multifunktionalität, oder der dritte Bauabschnitt" betitelt werden.
Die Hildburghäuser - und nicht nur die - haben Blut geleckt. Die Lust auf Theater, die auf Kultur sei geweckt worden. Nicht nur an diesem Freitagabend. Doch da auch - es ist die Lust auf gute Gespräche mit Gleichgesinnten, mit Freunden, aber auch die besagte Lust auf Theater und Matthias Biskupek, die die Menschen am Vorabend zum Wochenende ins historische Rathaus der Stadt gezogen hat. Dort lässt sich ein gebürtiger Chemnitzer, ein Schriftsteller, der im sächsischen Mittweida aufgewachsen ist und heute im thüringischen Rudolstadt lebt, ins Drehbuch schauen. "Eine moralische Anstalt" beschreibt Biskupek - und hat sich ein Kleinstadttheater als Bühne gewählt. Ein Vorspiel fehlt natürlich nicht - eines mit einem wild diskutierenden Pförtner und einem frischgekürten Oberspielleiter, der sich das Provinztheater ohne Parteiöberschte anschauen möchte.
Biskupek liebt die Bühne. Er steht auf den weltbedeutenden Brettern, damit ihn jeder hören kann. Seine Vorstellung hat begonnen. Der ehemals maschinenbauende Diplomingenieur, der später als Regieassistent und Dramaturg gearbeitet hat, und sich zeitweilig auch in einen Bühnentechniker, Programmheftzeichner, Inspizient und Kleindarsteller verwandelte, weiß, wovon er redet. Er sorgt in seinem Stück - schon von Berufswegen - für Authentizität. Vom Malsaal bis zum Theaterrestaurant spaziert er mit seinen Zuschauern und -hörern durchs Innere des Theaters und vergisst natürlich auch das wichtigste nicht, das Theater im Theater. Oder sollte man es Revolution nennen? Revolutionär jedenfalls ist die Antrittsrede des Oberspielleiters. Die enthält Biskupek seinem Publikum nicht vor. Ebenfalls nicht die Protokolle der IMs, die es zu allem, was gesagt wird, gibt. Sie sind übrigens köstlich. Die bequem sitzenden Frauen und Männer in der historisch-modernen Bibliothek Hildburghausen genießen die Worte, die an Zeiten erinnern, als es die DDR noch gab. Heute amüsieren die Sätze. Damals konnten sie vernichten helfen. "Manchmal werde ich gefragt, ob ich die Protokolle verändert habe", sagt Biskupek in einer Szenen-Pause. "Nur manchmal ein wenig", gibt er zu.
2003 habe er den letzten Buchstaben für "Eine moralische Anstalt" getippt. Das Manuskript war fertig. Doch es endete in der Schublade, bis er es 2007 befreite. Auf Bitten des Eulenspiegel-Verlags. "Der hat bei mir nachgefragt, ob ich einen Roman schreiben würde. Tja, und da sagte ich "Ich habe schon einen."
Und was für einen. Einen, der äußerlich einem Theater gleicht, über Theater handelt und innerlich auch Theater ist. Eine halbe Stunde lang spielen sich die Szenen des Stücks vor dem Empfangs-Publikum ab. Eine weitere halbe Stunde widmet sich Biskupek einer Beziehungskiste im Zwiegespräch, liest aus "Mein Trabi und ich" und steht am Ende vor deren Trümmern. Doch gegen alles ist ja bekanntlich ein Kräutlein gewachsen. Und deshalb geht‘s nach dem unschönen Ende des Trabsels auf einen "Streifzug durch Thüringens Kräutergarten". Und ein Prolog rundet die gut eineinhalb Theaterstunden ab.
Biskupek war zum zweiten Mal bei Tilo Kummers Neujahrsempfang zu Gast. Ein gern gesehener und gehörter dazu. Das bekundet das Publikum lautstark, bevor der gemütliche Teil des Abends beginnt. Dann heißt es nicht mehr "Sitzen Sie bequem", sondern "Wie geht es Ihnen" oder "Schmeckt es Ihnen?" Gespräche sind‘s, die nun die Hauptrolle spielen. Gespräche und Begegnungen - mit guten Bekannten, Freunden und Sympathisanten. All jenen, die am Ende des Abends etwas geben - fürs Theater. Das der Kreisstadt. Damit der Traum von Multifunktionalität vielleicht doch im 3. Jahrzehnt nach der DDR verwirklicht werden kann.