Peinliche Auftritte, vergeigte Chancen
Von Frank Quilitzsch

Berlin (tlz) Sie sind wieder fleißig gewesen, unsere deutschen Volksvertreter in Sachen Satire. Mit witzig-frechen und sprachlich pointierten Beiträgen lassen sie das ereignisreiche Jahr noch einmal Revue passieren und sparen dabei keine Peinlichkeit und keinen Politikerfehltritt aus. Missglückte Auftritte, vergeigte Chancen und uneingelöste Versprechen - dies alles und noch viel mehr wurde dokumentiert und kann erstmals in "geballter Ladung" in einem beim Berliner Eulenspiegel-Verlag erschienenen Jahresrückblick-Band nachgelesen werden. Es war ja auch ein verrücktes Jahr: Wir wurden Papst, Angie Bundeskanzlerin und Ex-Kanzler Gerhard lernt jetzt um auf Gasmann. Aber nicht alle sind stolz auf uns. Da erscheint es beinahe folgerichtig, dass die satirische Retrospektive von einer Nichtdeutschen, einer Dame aus Rotterdam, herausgegeben wird. Für Hinta de Jattens sah unser Jahr "einfach nur schrecklich" aus: "Zuerst hattet ihr den Tsunami und alle Welt fürchtete schon, ihr würdet nie wieder aufhören zu spenden", kondoliert die Herausgeberin in ihrem Vorwort. "Und gegen Ende kam Angela Merkel über euch. Zwischendurch habt ihr käufliche Gewerkschafter und Heuschrecken gejagt, viel im Fußball verloren, Mooshammer erdrosselt und euren Kanzler zittern lassen, ob er genug Misstrauische findet." Man kann doch, was unsere Zukunft anbelangt, gar nicht misstrauisch genug sein. Alles geht aufwärts - der Aktienkurs proportional zur Zahl der Arbeitslosen und Hartz IV-Empfänger. Rasant aufwärts geht’s auch mit dem Sprachverfall. Da sollten sich wenigstens unsere EU-Politiker auf ein Einheits-Europäisch einigen, meint Matthias Biskupek. Und Michael Rudolf schlägt vor, wie zwischen "realer" und "gefühlter" Temperatur künftig auch zwischen wirklichen und gefühlten Verbesserungen zu unterscheiden. Ein "gefühltes" Jahr mit einem "gefühlten Aufschwung" - wie mögen sich bloß jene fühlen, die es in den realen Abgrund reißt? Alles darf man von diesem Buch, zu dem Autoren wie Wiglaf Droste, Ernst Röhl, Dietrich Kittner und Mathias Wedel ihren Senf gaben, nun auch wieder nicht erwarten. Optimismus zum Beispiel. Aber wächst Erkenntnis nicht aus der Negation der Negation, wie Hegel, lehrte? Garniert wird diese heiter-boshafte Rückschau mit Cartoons - u. a. von Stepahn Rürup, Barbara Henniger, OL und TLZ-Karikaturist Nel - sowie aufgespießten Sprüchen, etwa: "Im Gegensatz zu Stoiber ist Ratzinger seit seiner Wahl unfehlbar." (Harald Schmidt) Oder: "Was deutsche Leitkultur sein soll, weiß niemand so genau. Nur was nicht dazu gehört, ist seit Pisa klar: Goethe, Einstein und die Rechtschreibung." (Wolfgang Mocker)

Die geballte Ladung, Das war 2005, Eulenspiegel, herausgegeben von H. de Jattens, gebunden, 128. Seiten, 12.90 Euro.