Kulturjournal

„Ich hab keine Lust auf ner kalten Straße zu sitzen“
Über die demokratische Verflachung, Schnulli und Nazis in der poetischen Provinz. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Matthias Biskupek.

Die DDR stand noch fest innerhalb ihrer Mauern, doch man wusste längst, dass Künstler und Schriftsteller eine Gesetzeslücke erkannt hatten, um wider den Stachel Löckendes unterderhand zu veröffentlichen. Waren nämlich Text und Bild in einer künstlerischen Komposition untrennbar verbunden, durfte dies in einer Auflage bis zu 99 Stück ohne Genehmigung vervielfältig werden. Was heute den gutbetuchten Sammlern, deren schwindende Zahl allseits beklagt wird, vorbehalten ist, war vor wenigen Jahrzehnten eine politische Tat. Die Rede ist von der bibliophilen Ausgabe. Das scheinbar letzte Fossil gegen einen überhitzten Selbstdruckbuchmarkt und das entfremdete Lesen auf kleinen flimmernden Flachbildschirmen. So nimmt es nicht Wunder, dass sich auch die Reihe Hans Westerheides „Verlegtes Wiedergefunden“, dem Kleinod annimmt und nun eine Vielzahl der Biskupekschen Hakenschläge vorlegt. „Nun sind die Texte zwar ihres ursprünglichen Zwecks etwas entkleidet“, ohne die maßgebliche Gestaltung, ohne handgeschöpftes Papier, mit wenigen kleinen Kopien versehen, doch das stört den Autor freilich nicht. „Es sind auch nicht alle Texte so großartig, aber es ist ja eine Dokumentation, da muss auch das weniger Gute rein. Ich habe alles in meinem Leben geschrieben und dieses Werk ist der Extrakt“, so der Rudolstädter Schriftsteller. „Ich initiiere keine Bücher, es ist meistens Auftragsarbeit, der Rest passiert im Blog.“ Ja, Matthias Biskupek hegt keine Ressentiments gegen das Bloggen, er bloggt fleißig mit und pflegt sein interaktives Tagebuch. „Da habe ich täglich die Möglichkeit mich auszuniesen, ein kleines Feuilleton zu schreiben. Ich habe schließlich 300–400 ständige Leser, das ist mehr als die meisten Dichter haben.“ Das Bloggen ist eine Arbeit gegen die Vergesslichkeit, eine Gedächtnisstütze, er schreibt über alles, was ihm auffällt, Dinge, denen man eine literarische Form geben kann. Über die gängige Kritik dieses Mediums kann Biskupek nur müde die Schultern zucken: „Der Blog ist wie alles. Gutenberg machte die Schriftkultur demokratisch, die Schreibmaschine machte, das jeder Arsch überall einigermaßen ordentliche Manuskripte schreiben konnte. Mit dem Blog ist es wie mit dem Reihenhaus gegenüber dem Schloss. Es wurden wenige Schlösser gebaut und das war prima; und auf einmal fing die Reihenhauskultur an. Jeder baute sein Häuschen. Es ist eine Demokratisierung, aber eine Verflachung. Aber gegen die verflachende Demokratisierung gibt es die pontifikale Linie oder die Adelskultur. Da kann man ja bibliophile Publikationen machen.“ Adelskultur ist überhaupt das Stichwort für Biskupek, dem auf die Frage, ob es alsbald ein neues literarisches Projekt geben wird, nur ein langgezogenes und entspanntes „NEEEE“ von den Lippen gleitet. „Ich fände es am allerschönsten, wenn es private Auftraggeber gäbe, die sagen, Herr Biskupek, ich möchte von ihnen ein Gedicht. Ich zahle ihnen 3000 Euro, aber sie dürfen es nur für mich schreiben. Das würde ich sofort machen. Zurück zur Auftragskunst, aber von mir will das keiner. Ich kann zum Glück von der Literatur leben, auch wenn es schwierig ist, weil ich nicht strukturschwach bin.“
Das leicht hämische Augenzwinkern begleitet noch jeden allzu alltäglichen Kommentar Biskupeks, immer ein wenig doppelbödig, ein wenig hintersinnig. Was da ständig durch die Rede blitzt, ist der Hang zur Satire, zum Kabarett, denn damit hat alles begonnen, seine Laufbahn vom Ingenieur zum Schriftsteller. Mit 16 dichtete er eine Bergfestzeitung, rutschte in den Zirkel schreibender Studenten und somit unter die Hand des formstrengen Bernd Leistner. Mit 26 ging er ans Theater und schrieb in den Vormittagspausen sein erstes Buch, das er Anfang 30, nach dem die staatlichen Mühlen behäbig mahlten, auch endlich veröffentlich konnte. Der Formwille Leistners ist ihm zum Maßstab geworden, nicht nur für die eigene Schreibe, sondern auch in Hinblick auf den sogenannten Nachwuchs, den er als viel gefragtes Jurymitglied immer im Auge behält. „Ich denke natürlich nur das Beste über den Nachwuchs. Etwas entwickelt sich da, ich weiß nur nicht was. Die Literatur entwickelt sich zwar weiter, aber ich weiß nicht, ob immer höher oder doch spiralförmig. Viele führen einfach die Tradition des 19. Jahrhunderts fort, das 20. scheint an den jungen Schreibenden vorbeigerauscht. Die haben mal was von Rilke gehört, dann machen die was mit Stäbe und Gäbe; und vielleicht ein wenig Celan, das wars. Eben nur, was im Unterricht gelehrt wird. Schon Georg Heym fällt aus dem Raster. Aber man muss doch wissen: Vor mir haben schon einmal tausend Jahre lang Leute was geschrieben. Allerdings ist auch Quatsch von der Kunst einen Fortschritt zu verlangen. Nur Formkenntnis: Du musst sie doch nicht nutzen. Im 19 Jahrhundert konnte jeder Oberlehrer einen Alexandriner schreiben – die waren nicht wirklich gut, aber besser als das, was heute viele junge Leute machen, weil die das gar nicht kennen. Insgesamt gibt es schon viel Schnulli, aber das ist wohl immer so gewesen. Nur früher konntest du es nicht sehen, weil du nicht in jede Wohnstube reingucken konntest, aber durch die Blogs und die neuen Medien kannst du eben an allem teilhaben. Ich sage es ja, Demokratisierung ist auch Verflachung.“ Schnulli, da ist es, das Wort, das für Matthias Biskupeks Liebe zum Dialekt einsteht. Hochdeutsch ist ihm fremd, er pflegt das Sächsische und vergreift sich auch gern am Thüringischen, wenn er auch schnell als Nicht-Muttersprachler von den Rudolstädtern entlarvt wird, die ihren berühmten Mitbürger gern Heimatdichter nennen. „Nein der Titel ärgert mich nicht. Dieses Verwurzeltsein in einer Sprache, einer Landschaft, ist doch ungeheuer positiv, diese Heimatverbundenheit. Ich nenne es auch gern regionale oder poetische Provinz, auch ein positiver Begriff. Nicht nur, weil hohes und niederes Wort zusammenkommen.“ Und Biskupek weiß, auch die Provinz hat eine Strahlkraft und beruft sich auf den großen Einsiedler Arno Schmidt oder die sächsische Dichterschule Volker Braun, Rainer Kirsch etc., „wenn sie ihre Dichtung schmettern, dann hörst du den sächsischen Tonfall – das ist nicht provinziell – es ist eben eine Leidenschaft für Dialekte, aus der Dichter wie Wulf Kirsten oder Adolf Endler schöpfen.“
Was nun schnell zu fragen bleibt, da der Schriftsteller schon wieder auf dem Sprung zu einer politischen Podiumsdiskussion (Thema: direkte Demokratie, ziviler Ungehorsam und Rassismus) ist, wie er es denn selbst mit diesen spannenden gesellschaftlichen Fragen halte. „Ich glaube der Schriftsteller ist nicht in erster Linie dazu da, auf einer Straße zu sitzen und sich wegtragen zu lassen. Es ist nichts dagegen zu sagen, wenn es ein einzelner macht und sagt, ich will nach Dresden und gegen die Nazis demonstrieren, das ist o.k. Aber ich hab keine Lust mich auf eine kalte Straße zu setzen, da bekomme ich nur noch schlimmer Bandscheibe. Ich bin feige, das gebe ich zu, ich habe Angst vor körperlicher Gewalt. Was ich überhaupt noch nie leiden konnte, war richtige Gewalt. Ich bin von Jugend an geschädigt. Deswegen sage ich, es muss solche Möglichkeiten der Gegenwehr geben, aber ich, als Schriftsteller, habe eine andere Aufgabe. Es nützt ja auch nichts zu sagen, die anderen sind böse und wir sind gut. Man muss auch mal fragen, warum sind die Nazis so, man muss sich auch mal in einen Nazi hineinversetzen, das ist doch, was ein Schriftsteller kann. Das können wir doch machen, das ist doch das Schöne.“

Matthias Biskupek wurde 1950 in Chemnitz geboren. Studium zum Diplomingenieur. Seit 1976 arbeitete er am Theater Rudolstadt, zunächst als Regieassistent, später als Dramaturg, zeitweilig auch als Bühnentechniker, Programmheftzeichner, Inspizient und Kleindarsteller. Von 1979 bis 1983 Dramaturg und Texter am Geraer Kabarett "Fettnäppchen". Seit 1983 freischaffend in Rudolstadt. Biskupek veröffentlichte Romane, Geschichten, Kabarettexte, Feuilletons und Features für den Funk und ist zudem als Publizist und Literaturkritiker tätig. Zuletzt erschienen: Rose Schwartz und die Folgen - Texte aus der Buchdruckzeit, Nora Raritäten, 2012.