Ulrich Kaufmann
Das Ostwesen entwickelt sich

Als Autor und Kritiker hält Biskupek dem "Palmbaum" seit Jahren die Treue. Augenblicklich hat der vielgelesene Schriftsteller, zur Freude seiner Leser, wohl einen Schaffensrausch. Ein Theaterroman liegt vor und man kann sich auf von Matthias Biskupek geführte "Streifzüge durch den Thüringer Kräutergarten" begeben. Nun hat er außerdem Essays aus zehn Jahren zu einem Band vereint, der in der von Jens-Fietje Dwars vorzüglich betreuten und gediegen gestalteten Edition "Ornament" herauskam. Die Krux solcher Sammelbände ist, dass dem Zeitungs- bzw. Zeitschriftenleser manches schon bekannt vorkommen könnte. Der Autor publiziert aber auch "überregional", im "Eulenspiegel" und in der "Frankfurter Rundschau" etwa, und so findet der Schmökerer im mitteldeutschen Raum und anderswo genügend neue Texte. Verlag und Autor verschweigen leider die Druckorte, mitunter auch die Redeanlässe. Dies mag damit zusammenhängen, dass Biskupek an etlichen Texten weiter feilte und einige für diesen Band aufeinander abstimmte. Deshalb wohl haben manche der Essays gleich zwei Entstehungsdaten.
Biskupek ist seit Jahren Satiriker von Format. Sein "slawisches Gen" sei schuld daran, dass er nicht gar so brav und bieder daherkomme wie mancher seiner deutschen Schriftstellerkollegen. Den größten Spaß hat der Leser, wenn er Biskupeks Untertexte mitdenkt. Wenn der Autor etwa behauptet, "das Ostwesen entwickelt sich", so erinnert er augenzwinkernd an Sostschenkos Kultnummer "Der Agitator", natürlich in der Interpretation Manne Krugs. Letzterer pries ja die Fortschritte des für die Bauern so nutzlosen sowjetischen Flugwesens. Durch diesen Rückgriff weiß man, wie ernst die zuerst zitierte Äußerung gemeint ist.
Der in Sachsen geborene und im thüringischen Rudolstadt lebende Autor scheut sich nicht, Kollegen seine besondere essayistische Wertschätzung zukommen zu lassen, die mit seinem Wohnort verbunden waren: der junge Schiller etwa, der frühe Fallada oder der 2001 verstorbene Dichterfreund Harald Gerlach. Dass ein Schriftsteller manch Interessantes über seine Kollegen zum Besten geben kann ( Antje Babendererde, Johannes Conrad, Erich Mühsam, Hansgeorg Stengel), ist so überraschend nicht. Biskupek hat jedoch, was weniger bekannt sein dürfte, enge Kontakte zur bildenden Kunst. Von namhaften und weniger in Erscheinung getretenen Künstlern zeichnet er Porträts, natürlich mit Worten. Der Band legt Zeugnis ab von den vielfältigen Arbeitsfeldern - im Amtsdeutsch spricht man von den "Nebentätigkeiten" - des Autors: Als Eröffnungsredner bei Ausstellungen, bei Schulfeiern oder bei Wettbewerben für junge Literatur scheint er einen guten Ruf zu genießen. Gerade wenn Matthias Biskupek (Jahrgang 1950) zu Jüngeren spricht, vermeidet er den Zeigefinger. Eher provoziert er liebevoll oder "belehrt" mit seinen Mitteln, mit denen der Ironie und Satire.
Selbstredend ist Biskupek auch in diesem Band nur auf den ersten Blick ein Spaßmacher oder Humorist. Mitunter verlässt er sein Metier, wechselt den Sprachduktus, so wenn er gegen Neonazis anschreibt, seinen Kollegen Landolf Scherzer verteidigt oder für verstorbene Schriftsteller wie Pitschmann oder Cibulka um letzte Worte ringt. Der Essayist Biskupek achtet genau auf den Klang der Worte, er interessiert sich für ihre Geschichte und spielt mit verschiedenen Wortbedeutungen. "Und weil unsere Bildungspolitiker die Kids vor allzu viel alten deutschen Wörtern bewahren wollen, gibt es jetzt auch die guten alten Dichter in neuem Gewand: So hat man Theodor Storms ‚Schimmelreiter’ beim Schulbuchverlag Cornelsen in einer Fassung herausgebracht, die alle alten Wörter vermeidet. Da wird aus dem Schock eben eine große Zahl, aus dem Antlitz das Gesicht und aus karg blaß." (S.58)
Die stärksten Texte sind für mich jene, in denen der Autor von deutsch-deutscher Befindlichkeiten handelt. Insbesondere am Beispiel der bildenden Künstler zeigt er, wie sich ihre Situation in der Gesellschaft nach der "Wende" radikal veränderte. "Man musste sich wiederum nur auf sich und sein Wollen, Können und Künden verlassen – nur daß jetzt Ateliers das Zwanzigfache kosteten und kein Maler mehr allein vom Pfandgeld für Bierflaschen existieren konnte. Spuren dieser Bedrängung sind in manch einem der Kunstwerke zu entdecken, die auf der östlichen Seite der nur als Bauwerk gefallenen Mauer, unermüdlich entstehen", meint der Autor 1999. (S.36)
An anderer Stelle beruft sich Biskupek auf den berühmten Göttinger Studenten Heinrich Heine, auch wenn er absichtsvoll weder den Autor noch die "Harzreise" als Quelle nennt. "Wieso funktioniert jener Witz noch immer: Die deutsche Einheit ist dann erreicht, wenn der letzte Ossi aus dem Grundbuch ausgetragen wurde!? Wenn die Stadt Göttingen einst berühmt war für Bratwürste und Professoren, so könnte heute eine Ost-Universität berühmt sein, hätte sie mehr Ost- als Westprofessoren. Doch zwischen Jena und Dresden muss die Bratwurst als identifikationsstiftendes Merkmal reichen."
PS: Zum Abschluss muss der Rezensent bei allem Zuspruch entschieden Widerspruch anmelden: Auf der ersten Buchseite schätzt der Essayist, dass 1974 etwa 70% der DDR-Bürger in ihrer Solidarität mit den Schwächeren das berühmte Sparwasser-Tor bejubelt hätten. In einem Jenaer Wohnheim, das bleibt mir unvergessen, herrschte Grabesstille – weniger als 10 % der Studenten im überfüllten Fernsehraum teilten meine Freude.

Matthias Biskupek: "Lob des Kalauers und andere Für- und Widerreden"; Edition Ornament im quartus Verlag; 14,90 Euro.