Mordstorys und Kochkunst

Techtelmechtel mit den Musen
Von Janina Fleischer

Die Jubiläumsausgabe ist ein Schwergewicht. Über 300 Seiten hat die Nummer 250 der Zeitschrift "die horen", einer Literaturzeitschrift, die 1795 von Friedrich Schiller begründet und nach dem Zweiten Weltkrieg von Kurt Morawietz in Hannover neu ins Leben gerufen wurde. Das Heft macht sich aus diesem Anlass quasi selbst zum Thema, um gleichzeitig über den Tellerrand zu schauen: Unter dem Titel "Pressköter und Tintenstrolche" geht es um Literaturzeitschriften, um alte und neue, vergessene und preisgekrönte, deutsche und anderssprachige - und zwar in den Wortbestandteilen: Literatur, Zeit, Schrift.
Auf Einladung der Herausgeber Sascha Feuchert und Jürgen Krätzer schreiben Autoren, Herausgeber und Kritiker über "Sinn und Form", "BELLA triste", Karl Kraus' "Die Fackel", "Neue Deutsche Blätter" oder die Leipziger "Edit" und "poet". Das sind oft sehr persönlich gehaltene Beiträge wie Nadja Küchenmeisters Plädoyer für die "Literaturen"; sie besitzt alle Ausgaben. Thomas Böhme stellt sich die Redaktion einer Literaturzeitschrift als "schlafloses Haus vor, in dem all die Wörter Asyl finden, denen man sonst die Tür weist". Die "Wunderwerk der ,horen'" beispielsweise nennt er auch ein "Techtelmechtel mit den Musen". Und schreibt steuert ein zauberhaftes Wortbewahrungungs-Gedicht bei: "Im Keller hängt ein Blümerant in den Spinnweben."
Über "A Drei", 1983 bis 1990 hergestellt "in den Kellertiefen Karl-Marx-Städter Untergrundkünstler", schreibt Kerstin Hensel. "A Drei" hatte eine Gesamtauflage von 25 oder 30 Exemplaren, sie gingen an die beteiligten Künstler und Autoren. Hensels tollkühner literarischer Dialog mit Barbara Köhler, "Landschaft mit Argwohnauten oder die Abwaschmädchen der Nation" ist ebenfalls abgedruckt.
In der Übergangsgesellschaft nach dem Mauerfall folgten Publikationsversuche mit Namen wie "Construktiv", "Sondeur" und "DER VERRISS/Berliner Gemeine" - letzterer, um die "Berliner Republik vom Zentrum her" mit Verrissen aufzumischen. Matthias Biskupek nennt es "schöne Spielwiese für Intellekuelle jedweder Denksportart" und zitiert den Auftrag, den sich Erhard Ertel, Helmut Fensch und Mathias Wedel damit gaben: "Wie Sickerwasser kriecht die ostberliner Traurigkeit in die verabredete Heiterkeit der Westberliner Klubs und Varietes. Schon vernagelt man die Türen voreinander. Gesichtskontrolle. Schon kann man die Düfte des andern nicht mehr ertragen. ,DER VERRISS/Berliner Gemeine' will das Seine dazu tun." Nach sechs Ausgaben war das Geld alle.
"Es ist leider so, dass wir grundsätzlich literarische Beiträge nicht bezahlen können, sagt Jörn Dege, der aktuell gemeinsam mit Mathias Zeiske die Leipziger Literaturzeitschrift "Edit" herausgibt. Im von Michael Hametner moderierten Gespräch mit den Kollegen von " BELLA triste" und "Sinn und Form" schwärmt Dege vom Gestaltungsspielraum: "Man kann direkt nach Formen und Inhalten schauen, die an anderen Orten keinen Platz bekommen oder einen nur sehr marginalen."

die horen Nr. 250: "Pressköter und Tintenstrolche!". Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik.Wallstein Verlag; 320 Seiten,16,50 Euro

Aus der Leipziger Volkszeitung vom 26.07.2013