Nach dem Partnertausch

Von Frank Quilitzsch, Thüringische Landeszeitung

Rudolstadt. (tlz) Ein Trabi knattert drauflos, über und über mit D-Mark-Noten dekoriert: "Sehr geehrte Deutsche Westmark, wissen Sie noch, wie es war, als wir uns erstmals intim kennenlernten? Beim großen Partnertauschfest im Sommer 1990 ...?" Dann ein Warnschild mit der Aufschrift: "Mitarbeiter der Treuhand betreten das Gebiet der Gemeinden Siegelbach, Dosdorf u. Espenfeld auf eigene Gefahr." Ein "Inoffizielles Beobachtungsprotokoll" vermeldet die Entmachtung des obersten Tschekisten in den Grautönen der DDR, Deckname "Horch und Guck". Erst reiht sich, reichlich verspätet, Herr Honecker in den Strom der DDR-Botschaftsflüchtlinge ein, dann verschwindet der Leipziger Baulöwe Jürgen Schneider, und schließlich versinkt halb Mitteldeutschland in der Jahrhundertflut.
Nur fünf von zwanzig Kalenderblättern, mit denen der Rudolstädter Schriftsteller und Kolumnist Matthias Biskupek - nachfühlend oder polemisch, in jedem Falle pointiert - die Zeit nach der Wende Revue passieren lässt. Das "tänzerische Ende" des gewalttätigen Arbeiter-und-Bauern-Staates ist ihm ein Prologblatt wert, in dem es heißt: "Die DDR wird oft als monolithisches Ding gesehen: Stasiapparat mit Einheiz-Partei oder skurriler Spreewaldgurkenproduzent mit niedrigen Mieten. (...) Die Widersprüchlichkeit dieses Staates in jener Zeit zeigt sich im pompös inszenierten 40. Jahrestag der DDR. Dazu blies ein Mann feierlich Trompete, der heute als Widerstandsheld gilt: Ludwig Güttler."

Palette von hohem Unterhaltungswert
Zwanzig Tage oder zwanzig Ereignisse oder zwanzig Geschichten aus zwanzig Jahren, das ergibt, flankiert von originellen, aussagekräftigen Fotos aus Politik und Alltag im Osten, eine farbenprächtige Palette von einiger Informationsdichte und hohem Unterhaltungswert. Die Idee ist ein bisschen von Christa Wolf abgeschaut, die in ihrer Tagebuch-Auslese "Ein Tag im Jahr" vierzig Jahre reflektierte. Doch während Wolf konsequent von sich erzählt, von eigenen Träumen, Nöten und ihren Reaktionen auf gesellschaftliche Zwänge, blickt Biskupek als Chronist auf die Umwälzungen, deren Zeitzeuge er gewesen ist. Hier nur einige der als betrachtenswert erachteten Ereignisse: 9. November 1989 - Mauerfall, 1. Juli 1990 - Währungsunion, 1. April 1991 - Mord an Treuhandchef Rohwedder, August 1994 - Abzug der Roten Armee, 20. September 2001 - letzter TV-Auftritt von Karl Eduard von Schnitzler, 30. Juni 2006 - Fall des Radrennidols Jan Ulrich, 26. Februar 2007 - Oscar für den Film "Das Leben der Anderen".
Natürlich ist solche Auswahl subjektiv, mitunter willkürlich, aber in der Summe gerecht. Freilich könnte man spitzfindig fragen, weshalb Stasi-Chef Erich Mielke mit einem ganzseitigen Foto bedacht wird, während der Pfarrer Gauck, Leiter der mit Mielkes Erbe befassten Behörde, gar keine Erwähnung findet. Und was war doch gleich mit Politprominenten wie Ibrahim Böhme, Günther Krause oder Claudia Nolte, um nur einige zu nennen. Der Chronist musste sich entscheiden, und seine Wahl fiel, zurecht, auf "Kohls Mädchen". Die Pfarrerstochter Angela Merkel steht nämlich als Aufsteigerin von der SU-Studentin über FDJ-Kreisleitung, Physikinstitut bis zum Bundeskanzleramt für ein ganzes Bündel ostdeutscher Phänomene.
Nostalgie? Fehlanzeige! Für DDR-Mief hat Biskupek nur Spott übrig, für bundesdeutsche Biederkeit allerdings auch. Selbst der Krebstod der aufmüpfigen Sängerin Tamara Danz, Anführerin des "Bataillon d´amour", ist dem Autor ein kämpferisches Kapitel wert, in dem er an den Mut jener DDR-Rocker erinnert, die per öffentlich verlesener Resolution für mehr Demokratie stritten.

Jeder denkt seine Geschichten hinzu
So etwas nennt man einen Coup: Mit nur fünfzig Manuskriptseiten füllt der clevere Autor ein ganzes Buch. Und was für eins: Es misst 29 mal 22 Zentimeter und bringt fast ein Kilo auf die Waage! Aber, höre ich ihn einwenden, er habe auch die vielen Fotos auswählen und jede einzelne Bildunterzeile verfassen müssen. Müssen? Dürfen! Menschenskind, ahnt er denn nichts von seinem Glück? "Das Glück des richtigen Geldes" heißt dieses Gesamtbuchkunstwerk, das Biskupek mit pfiffigen Verlagsmenschen aus Erfurt kreiert hat. Prinzip ist es, anhand spektakulärer Begebenheiten in Wort und Bild eine große Themenbreite anzusprechen, die sich deutlich aus dem Einheitsbrei der Erinnerungsliteratur heraushebt. "Der Wanderer durch diese Bild-Text-Ausstellung", heißt es am Schluss, "wird nicht umhin kommen, seine eigenen Geschichten hinzuzufügen."


Matthias Biskupek: Das Glück des richtigen Geldes und weitere Schlaglichter aus zwei Jahrzehnten seit der Wende. Sutton-Verlag, Erfurt, 128 S. mit zahlr., zum Teil doppelseit. Abb., 24.90 Euro