Gebirge von Absurditäten

Lausitzer Rundschau, 28.4.2009
Von Jürgen Weser

Der Buch-, Kabarett- und Autor der Satirezeitschrift ,,Eulenspiegel" hatte als Gast der Lesereihe an der Neuen Bühne Senftenberg ein Provinztheater im Roman mitgebracht. ,,Eine moralische Anstalt" beschreibt das Leben und Treiben am Rudolstädter Stadttheater Ende der 70er-Jahre im vorigen Jahrhundert mit beziehungsreichen Vorausblicken auf die Theaterszene der Jetztzeit.
Die moralische Anstalt unter der "Schnauferlburg" wird von Biskupek mit richtigen Requisiten, viel Theaterblut und einem letzten Vorhang satirisch unter die spitze Feder genommen. In Goethes blau-weißer Bratwurstbude, der große Olympier am Literatenhimmel war erster Intendant des Rudolstädter Hoftheaters, kennt sich Biskupek gut aus. Immerhin war er dort selbst für drei Jahre "Regieassistent und alles Mögliche". Der Matti aus dem Roman lässt autobiografisch grüßen. Biskupek las an der Neuen Bühne einige Kapitel des 2007 im Eulenspiegel-Verlag erschienenen Romans und ließ ein "Gebirge von Absurditäten" erahnen. Das kleinstädtische Provinztheater erscheint als Keimzelle "konterrevolutionärer Attacken", denn IM Spartakus berichtet, wie Oberspielleiter Fiedler, Oberfiedler genannt, zum "Mittel der volksfeindlichen Kunst mithilfe polnisch-westlicher Dramatik" greift und zum Lieblingsbeobachtungsobjekt der "Organe" im Kampf gegen politische Untergrundtätigkeit (PUT) wird. Den Oberspielleiter Klaus Fiedler, erzählt Biskupek, hat es wirklich gegeben, er wollte als produktiver Unruhestifter damals Bewegung in eine sozialistisch-kleinbürgerlich erstarrte Theaterpolitik bringen. Die kabarettistisch anmutenden IM-Berichte im Roman musste er übrigens nur wenig bearbeiten, lächelt Biskupek, auch die über ihn seien in ihrer seltsamen Bedeutungslosigkeit bestens zur Satire geeignet gewesen.
Biskupek jagte die Zuhörer während der Lesung mit ironischer Theater-Selbstbetrachtung durch sämtliche Eitelkeiten des Theaterbetriebs, der sich als "moralische Anstalt" ganz im Sinne Schillers, den Rudolstadt dabei ist, als eigenen Sohn zu vereinnahmen, versteht, "auch wenn wir nackt sind". Bis heute gelte ja, "im Theater wird die Welt verändert und draußen bleibt alles, wie es ist". So nimmt Matthias Biskupek die alkoholbenebelte revolutionäre Zugfahrt Oberfiedlers nach Finnland wie einst Lenin ebenso satirisch aufs Korn wie die "produktiven" Liebschaften und das Theater als Ansammlung liebenswert-skurriler Menschentypen.
Biskupek zeigt in dem Roman sein besonderes Talent zur doppelbödigen gesellschaftspolitischen Betrachtung, etwa wenn er Kritiker Stapelmeier aus Frankfurt am Main klagen lässt, dass er schon immer gewarnt habe, dass der ganze deutsche Theaterbetrieb von Zonenschauspielern und gestrandeten Maxim Gorkis okkupiert würde, jetzt sehe man die Moskowitisierung, wenn an der Neuen Bühne gar ein Intendant mit Namen Sewan Latchinian agieren darf. Die Umkehrung der DDR-Theaterverhältnisse karikiert Biskupek im "Letzten Vorhang" seines Romans als Eventgeilheit einer um sich greifenden Massenunkultur. Viel Spaß hatte das Senftenberger Publikum auch an zwei kabarettistischen Texten, als Biskupek zum Beispiel von den Trümmern einer liebevollen Beziehung zwischen dem nicht mehr fahrtüchtigen Trabi und seinem Besitzer las.
Im Gespräch outete sich der Autor als engagierter Vorsitzender des Fördervereins am Rudolstädter Theater mit dem Intendanten Steffen Mensching und äußerte sich eher skeptisch zu der wissenschaftlichen Seriosität der These Ettore Ghibellinos über die Liebesbeziehung Goethes zur Herzogin Anna Amalia mit Blick auf die Uraufführung des Stückes "Eine verbotene Liebe" an der Neuen Bühne.


Matthias Biskupek: Das Glück des richtigen Geldes und weitere Schlaglichter aus zwei Jahrzehnten seit der Wende. Sutton-Verlag, Erfurt, 128 S. mit zahlr., zum Teil doppelseit. Abb., 24.90 Euro