Zunächst müssen wir über
russische Grammatik reden. So gibt es im Sprachgebäude der Russen
vollendete und unvollendete Partizipien, sechs Fälle, eine doppelte
Verneinung, die keine Bejahung, sondern eine Bekräftigung ist und
allüberall Verniedlichungsformen.
Nitschewo nje heißt
keinesfalls niemals nicht und wenn ein russischer Chwastun davon redet, daß er das
Täubchen sein Messerchen werde spüren lassen, so kann dies nur in
Ausnahmefällen als erotische Witzelei verstanden werden.
Zum Grundverständnis russischer Grammatik, also
sowjetischer Sprachregulierung, gehört zudem, daß die Präposition K den vierten Fall verlangt, der im
Männlichen durch ein angehängtes U
kenntlich wird. K wiederum
kann man zwar als sowohl zu
wie auch als auf
verdeutschen, aber immer nur zielend, was wir mit transitiv übersetzen ... Sie kommen
nicht mehr mit? Kein russisches Wunder! Einfach & logisch kommen
wir nie weiter.
Damals aber wollten wir weiterkommen. Vorwärts,
immer nur vorwärts. Damals, als der Kampf zwischen sowjetischen
Mondrobotern und amerikanischen Astronauten tobte und die Welt uns,
weil wir jung waren, offen stand, wenn auch nicht räumlich gesehen.
Unser Leben war sehr sicher eingegrenzt zwischen Orten wie Eisenach,
Ettersberg, Görlitz, Greifswald, Pankow, Sachsenhausen und Wismar. Und
wenn wir dieses Vieleck verließen, geschah dies in östlicher Richtung,
über eine Eisenbahnlinie, die via Brest und großspurigeres - oder sagen
wir: breitspuriges -
Bahnwesen die Freundschaftszüge bis ins weite, ferne Land der
Bjelorussen und Ukrainer, der Russen und Tataren, der Natschalniks und Rabotschis, der Freunde, Brüder und
Kampfgefährten beförderte. Wir jungen Bürger praktizierten germano-sowjetskaja Drushba. Drushba - Freundschaft! Drushba - Freundschaft! hieß unser
Schlachtruf. Wir saßen, schliefen und aßen zunächst in rollenden
Freundschaftswaggons. Mit dem Grenzübertritt und ausführlicher prowerka passportow waren wir
mittendrin im Sowjetlande, in unserer heroischen sozialistischen
Geschichte und dem Sommer des Jahres 1974. Der erste Spielzug hatte
begonnen.
Wir landeten mit dem touristischen Freundschaftszug
in Odessa, einem Schwarzmeerort, in dem man überall nur russisch
sprach, wiewohl es zur Ukraine gehörte. Ja doch, der
Nachhilfeunterricht für Euch muß sein, liebe Freunde, die Ihr damals
bestenfalls Paris, Kalifornien oder Bilbao kanntet. Wir kannten Bilbao
damals natürlich auch. Von einem Brecht-Song. Brecht, Bertolt, geboren
1898 in Augsburg, das ist in Bayern, gelle?, war jener Theaterdichter,
der, boykottiert vom Adenauer-Regime, in den Fünfzigern und Sechzigern,
von den BBU's, den Bösen Bonner Ultras - - - das wollt Ihr nicht hören?
Erzählen wir weiter von den heroischen Siebzigern im heroischen
Sowjetland.
In Odessa brannte eine heiße Sommersonne - Solnze swjetit, auf russisch, liebe
unkundige Freunde - auf uns herab und auf jene Schiffe, die im Hafen
lagen. Die Schiffe kamen zum Beispiel aus Kalifornien. Ja, so kam
damals Kalifornien zu uns. Wir mußten eigentlich nirgendwo hinfahren.
Die kalifornischen Seebären waren echte Amerikaner, und wir erprobten
unser Englisch an ihnen. Have a nice
day, näselten die Seebären, deren Schiff nicht auslaufen konnte
und die nun im selben Hotel wie wir kampierten. Wir allerdings hießen
Freundschaftstouristen, und die amerikanischen Seebären waren
friedliche, koexistente Handelspartner, deren Handel im Augenblick
etwas stockte. Es fehlten Ladepapiere oder Ausladekapazitäten, denn die
Bürokratie war gewaltig im gewaltigen Sowjetland. Die Seeleute brachten
ihre Wartezeit mit eigenem Whisky zu, zu dem sie uns einluden. Sie
sprachen: This is nice! All over
this country is Lennon! Wir dachten, es handle sich um ein
Mißverständnis: John Lennon - ein Countrysänger? Wir verehrten ihn
damals heftig, aber die Amerikaner zeigten auf die riesenhaften
Denkmäler, Fotos und Plakate in der Stadt. Thats Your Lennin, quietschten sie
freudig heraus, und wir erläuterten, daß Lenin ein großer Sohn des
russischen Volkes sei, unsere Söhne aber Karl Marx und Friedrich Engels
heißen.
Die größten Söhne Eures Volkes heißen jetzt Thats Maier und Fuck Heynckes, behaupteten die
Amerikaner, mit denen wir uns fast allabendlich trafen, in ihren oder
unseren Hotelzimmern, nachdem wir tagsüber sehr lange den sehr langen
Schwarzmeerstrand und sehr kurz die allgegenwärtigen
Lenin-Gedenkstätten besichtigt hatten. Oh no, erklärten wir, our figther Pommerenke and Kurbjuweit,
Bransch and Ducke. Ey crazy,
riefen die, Ihr Germans seid
immer Double-Germans. Euch
genügt nicht ein Hitler, Ihr seid immer konsequent, it must be a doppelter Überhitler.
Dazu grinsten die Amerikaner damit wir begriffen, daß Deutsche endlich
lernen sollten, Spaß zu verstehen. Damals waren wir noch silly, oder, um es in der Odessaer
Landessprache zu sagen, jeder einzelne von uns war ein nastojaschtschij Djurak, denn wir
hatten es einfach nicht gelernt, über Double-Fuck-Hitler
zu lachen.
Natürlich waren es nicht DIE AMERIKANER, mit denen
wir solche tiefgründigen Gespräche pflegen konnten; eigentlich waren es
nur zwei, und nur einer davon, den wir Jim Bean nannten, kannte sich ein
bißchen mit Fußball, Sepp Maier und Jupp Heynckes aus, der andere
verstand nicht die Bohne davon, obwohl er nicht Jim Bean hieß. Unsere russischen
Freunde, die wir längst in Odessa gewonnen hatten - denn nicht umsonst
waren wir auf Freundschaftszugreise - kannten sich hingegen
hervorragend im Fußball aus und wußten, daß die befreundeten Deutschen
auch großartige Schwimmer, überragende Nordisch Kombinierte und
führende Leichtathleten waren und fast so gute Turner wie die
Sowjetsportler. Die unbefreundeten Deutschen, also Ihr, denen wir das
alles hier und heute haarklein erklären müssen, wie damals die
Weltgeschichte lief, als wir den Ball noch lange nicht abgegeben
hatten, sondern vorwärts stürmten - Ihr hattet bloß eine mickrige
Hochspringerin und überhaupt keine Schwimmer und lediglich bissel
olympisches Reitergold und vielleicht mal 1 Stck. Zehnkämpfer. Unsere
befreundeten Sowjetmenschen und wir, wir hätten Euch doch alle Ränge
abgelaufen, selbst wenn internationale Meisterschaften in der besonderen politischen Einheit Westberlin
stattgefunden hätten. Vielleicht muß an dieser Stelle für ganz
Hartleibige, also auf westdeutschen Töpfchen Erzogene, erklärt werden,
wie es sich einst mit dem Sport und der Überzeugung und den Sympathien
und den Großen und den Kleinen verhielt. Wir wohnten, wie gesagt, in
einem winzigen Land, in besagtem Vieleck zwischen Eisenach, Ettersberg,
Görlitz, Greifswald, Pankow, Sachsenhausen und Wismar. Deshalb waren
wir auch solidarisch mit den Kleinen, also zum Beispiel im Eishockey.
Spielte Kanada gegen die Westdeutschen, - also da waren wir natürlich
für Euch. Weil Kanada Eishockeygroßmacht war und Ihr noch viel
schlechter spieltet als wir. Ebenso einfach verhielt es sich, wenn die
sowjetischen Scheibu-Sportsmjeni
- so heißen Eishockey-Ritter im Russischen; manchen Leuten muß man ja
alles erklären - gegen die Tschechen spielten, die damals
Tschechoslowaken hießen. Da waren wir ganz klar für die Schwejks, das
hatte mit dem Größenverhältnis zu tun. Auch wenn heutige
Sympathiewissenschaftler solches mit Prag *68 erklären möchten.
Schwieriger wird es jetzt, wenn, sagen wir mal die Finnen gegen Kanada
spielten. Wir hätten da für die Kleinen sein müssen, das war in diesem
Fall Finnland. Aber weil wir uns unter den großen Acht um den ersten
Platz der kleinen Vier mit den Finnen stritten, waren wir natürlich
dafür, daß die Kanadier gewannen. Taktik, Freunde! Wir als Größte der
kleinen Vier! Die Finnen waren als Land zwar klein, aber als
Eishockeymacht groß, und wenn wir damals nicht auch im Sport hätten
sparen müssen, denn für eine olympische Medaille braucht man im
Eishockey zwanzig Mann und eine ganze Oberliga von Weißwasser bis
Dynamo, hätten wir dauerhaft den ersten Platz der kleinen Vier belegt.
So wurden wir schließlich fast noch schlechter als Eure damals schon
unter aller Kanone spielenden Westdeutschen. Für die Russen hingegen
war Eishockey das Größte als Mannschaftssportart, die Begeisterung
reichte bis ins südliche, frostunsichere Odessa. Aber ich schweife ab.
Wir zoomen uns wieder in die Vergangenheit, an den Schwarzmeerstrand,
wo solnze swjetit, also wo es
verdammt heiß war. Solnze swjetit!
Merkt Euch das, solnze swjetit,
vielleicht braucht Ihr das mal in Euerm sonnigen Leben. Wir saßen also
mit unseren amerikanischen und sowjetischen Freunden zusammen und
tranken alle mächtig Whisky.
Die Sowjetfreunde verstanden kein Englisch; Deutsch
nur in jiddischen Redensarten, weil sie Odessaer Russen waren. Die
Amerikaner verstanden sowieso nur die language
of money. Aber wir, wir hatten gleich zwei Trümpfe in der Hand.
Wir konnten sagen Anton leschit na
Tamarje i djelajet Djeti worüber die Russen schmunzelten,
während die Amerikaner nur so blöd glotzten wie Ihr heute. Ein paar
Lern-Vokabeln wollen wir an dieser Stelle verraten: leschit heißt liegt, djelajet macht und djeti Kinder. Wenn die einen
sagten dshob twoju match so
konnten wir den anderen übersetzen motherfucker
und beide Großmächte staunten, wie weltläufig wir aus dem kleinen Land
doch waren.
Bis hierher ist aber alles noch immer Mittelfeldgeplänkel. Denn die
sowjetischen Zeitungen waren zwar voller großer Losungen, Leninbilder
und Aneinanderreihungen von erfolgreichen, ruhmbedeckten und
kämpferischen Ernteschlachtschilderungen, aber im Unterschied zu
amerikanischen Zeitungen brachten sie auch Weltsportereignisse. Und so
lasen wir überaus langsam dann in der Prawda
mit roten Ohren von den Spielzügen eines gewissen Gelzenbein. Hah! schrien wir, da
muß es sich um Hölzenbein handeln, und die Amerikaner wußten natürlich
weder mit Gelzenbein noch mit Hölzenbein etwas anzufangen, für die war
bei Sepp Maier Ende der Fahnenstange. Sie starrten in die kyrillische
Buchstabenwüste. Im Unterschied zu Euch, liebe Landsleute, verstanden
die Jim Beans nix von
Fußballregeln und lachten deshalb immer nur, wenn wir mit den
sowjetischen Freunden die Abseitsfalle und das sliding-tackling diskutierten. Slicktinck-Tacklinck, sagten die
Freunde, so wie sie heute Bissness
und Mannatscherr sagen, die
jetzt neuen Russen, die schon damals zu gern dabei gewesen wären, was
ihnen, als größte sozialistische Friedensmacht der Welt ja auch
zugekommen wäre.
Smotritje,
schaut hin, sagten sie und stippten uns auf die Mannschaftsaufstellung
in der kyrillischen Buchstabenwüste: Alle sind dabei. Die Jugoslawen
und die Argentinier, die Italiener und junge Nationalstaaten, die wir
auf unsere Kosten ausbilden, wie die Demokratische Republik Kongo. Und
Ihr seid sogar zwei Mal dabei, als befreundete Deutsche - und als
richtige Deutsche. Wir zuckten zusammen, aber so waren sie, unsere
Odessaer Freunde: geradeheraus und knallhart, von Leninschem Geist und
von Stalin, dem Stählernen, geschweißt.
Und wo, Ihr Täubchen, fragten sie mit einer in
Odessa, literarisches Mekka der russischen Literatur, üblichen
hintergründigen Selbstironie, wo, Ihr Täubchen, ist die große
Sowjetunion? Die dabei ist, den Mond zu erstürmen? Haiti, Polen,
Bulgarien - und keine Sowjetunion. Doch dann leuchteten die typisch
russischen Augen in ihren typisch russischen Gesichtern und sie setzten
erneut an: Und Ihr, Söhnchen, wo seid Ihr? So fragten sie die
Amerikaner und wir übersetzten sogleich: Wo befindet sich große
US-amerikanische Nation bei Konkurs
der Futbolisten?
Wir spielen Baseball, sagten die und konterten. Wir
übertrugen nun deren sanften Vorwurf etwas wortungetreu aus dem
Amerikanischen ins Schwarzmeerrussisch, quasi ins Odessische: Keine
Lenin-Zeitung bringt zur weltweiten Mitteilung, wie Atlanta Apples
gegen große Erfolge habende Sacramento Sunshines in den Sieg verfielen.
So kämpften die beiden größten Mond- und
Kosmos-Erforschungsnationen der Welt auf unserem gekrümmten
Sprachrücken miteinander. Es wäre wohl noch ewig so weiter gegangen,
wenn im Hotel-Radio nicht ein Ausschnitt der russischen Reportage vom
Kampf der befreundeten mit den richtigen Deutschen im fernen Hamburg zu
hören gewesen wäre. Gelzenbein
Beckenbauru! - schrie der Reporter und bevor wir in nur wenigen
Minuten enträtselt hatten, daß es sich hierbei um einen Spielzug von
Hölzenbein auf Beckenbauer gehandelt haben könnte - denn K (zu
oder auf) verlangt den
vierten Fall, Endung U, wie wir Euch ja schon eingangs erklärt haben -
schrie der Reporter Goool!,
und während wir noch überlegten, ob dies mit geil übersetzt werden
müsse und ob Hölzenbein oder Beckenbauer das Tor geschossen hatte,
schlugen uns die Odessaer Freunde auf die Schultern und
beglückwünschten uns. Hölzenbein, fiel uns ein, konnte allerdings weder
Vorbereiter noch Torschütze sein, denn er spielte bei dieser Begegnung
überhaupt nicht mit. Die Amerikaner wollten wissen, was los sei, und
wir versuchten den Spielzug ins Amerikanische zu transferieren.
Währenddessen überschütteten uns die Odessaer immer heftiger mit Molodzui-Molodzui-Brüllern, was,
wie wir wußten, Prachtkerle
bedeutete und uns arg bröckeln ließ. Denn daß Westdeutsche Prachtkerle
sein sollten, wo wir doch die den Sowjetbrüdern am befreundetsten
Deutschen waren, empfanden wir als unfair.
Bis der Molodjez
aus Odessa uns erklärt hatte, daß einer unserer Spieler ein Tor
geschossen hatte, dauerte es eine Weile, also Minutotschku. Wir versuchten, den
Namen Sparwasser ins Russische zu übersetzen. Aus Sparwasser machten
wir wenig Wasser, und das war
nahe am Wodka, was bekanntlich Wässerchen
heißt, woraus nun wieder die amerikanischen Freunde schlossen, daß the east-german named Whisky soeben zwischen die goalposts getroffen hatte und dafür
wohl drei oder sechs points eingeheimst
hatte.
Wir sollten, beharrten nun unsere amerikanischen Freunde, jetzt
nimmermehr am Wässerchen sparen. Wir stießen auf den großen deutschen
Fußballer Whisky an. Die
Sowjetfreunde waren überglücklich, daß wir gegen den Kapitalismus
gewonnen hatten und wir waren froh, weil wir gegen uns den Sieg
errungen hatten.
Aus, aus, aus, das Spiel ist aus, schrie niemand von
uns, obwohl das Metch nach
all den langwierigen Übersetzungs- und Erklärungsversuchen längst aus
war. Wir hatten gewonnen. Durch den Genossen Wässerchen. Irgendwann war
auch die Weltmeisterschaft gelaufen, und wieder hatten wir gewonnen,
obwohl unsere längst raus, raus, raus waren. Dennoch waren wir
Weltmeister; nie mehr später würden wir den doppelten Einsatz haben
können, wie in den herrlichen Siebzigern bei allen Welt- und
Europameisterschaften. Wo allen anderen Nationen in Einzelwettkämpfen
nur mehr drei Starter zugestanden worden waren, konnten wir sechs ins
Rennen schicken. Klar, daß die ebenfalls bedeutenden Sporttreibenden
dieser Epoche, die US-Boys
und die SU-Drugi, immer ein
bißchen neidisch waren.
Wir Deutschen hatten in dieser herrlichen
Freundeszeit zwar ein schwieriges Sprachsystem mit unseren unklaren
Zeit- und Möglichkeitsformen, aber immer drei Chancen mehr, als die
anderen. Die Russen hatten eine vertrackte Grammatik, aber die
schönsten Verkleinerungsformen, und die Amerikaner hatten mit ihrem
Whisky und ihrer unkomplizierten Art, einfach alles und jedes in ihr
Englisch zu quetschen, sämtliche Sympathien auf ihrer Seite.
Das kalifornische Schiff mit den amerikanischen
Seebären war inzwischen doch entladen worden, und wir verabschiedeten
uns mit Strömen von Sparwasser,
wie russische und amerikanische Freunde jetzt gleichlautend Alkohol
nannten. Statt Gelzenbein-Beckenbauru!
jubelten unsere Odessaer Freunde Drushba-Freundschaft!
Drushba-Freundschaft! Denn das war der Spielzug der Epoche und
die Amerikaner, die immer gern alles mitmachen, was zum Lachen ist und
überhaupt keine Nation von Individualisten sind, wie man uns im
Politunterricht weismachen wollte, jubelten doppelt und vierfach wie
beim Überhitler: Friendship-Friendship,
Friendship-Friendship. Nichts wurde während unserer
Abschiedsparty doppelt verneint und die Niedlichkeitsformen feierten fröhliche Urständ. Wir versuchten
erst gar nicht, eine solche deutsche Eigentümlichkeit wie fröhliche
Urständ ins Amerikanische oder gar in die sowjetische Grammatik zu
übersetzen. Wir tranken längst Sparwässerchen auf Sparwässerchen, denn
auch die größten Whisky-Vorräte der Erde gehen irgendwann einmal zu
Ende. Das hätte den Amerikanern eigentlich schon damals eine Lehre sein
müssen, aber sie wußten ja noch nicht, welches neue Jahrtausend ihnen
bevorstand. Die Russen wußten, daß es ihnen nie gut gehen werde,
weshalb sie sich im Moment großartig, also sauwohl fühlten, was sie mit
Charascho sidim ausdrückten.
Das heißt nix anderes als: Gut sitzen wir - aber was es wirklich heißt,
werden weder Ihr noch wir je erahnen können. Damals saßen wir einfach
gut, dort in Odessa, das einstmals nicht nur ein russisches, sondern
auch eine intellektuelles und jüdisches Mekka gewesen war, alles ein
Widerspruch in sich, wie doppelte Verneinung und unablässige
Verniedlichung.
Charascho sidim: Wir saßen zwischen den beiden
heroischen Weltraumeroberernationen, denn wir hatten den grünen Rasen
gewonnen, aber nicht am grünen Tisch, sondern mit sliding-tackling und dem alle
verblüffenden Spielzug Gelzenbein-Beckenbauru.
Februar 2004