Exotik der Nähe [Die abgelaufene Heimat]
Jens-F. Dwars

Kennen Sie das Olitätenland? Wo solch seltsam wohlklingende Orte liegen wie Cordobang, Wildenspring oder Cursdorf, und ebenso wohlduftende Essenzen ihren Ursprung haben wie Lavendel, Opodeldok oder Hingfong. Keine Angst, es geht nicht um Reisen in ferne Regionen, die Ihren Geldbeutel plündern und Sie "all inclusive" an die immer gleichen Hotelketten schmieden.
Der Satiriker Matthias Biskupek, der sich selbst lieber einen Humoristen nennt, lädt zu einer Wanderung in seinen Garten ein, in den Thüringer Kräutergarten. Der beginnt gleich vor seiner Haustür, hinter Rudolstadt, und zieht sich rings um das Schwarzatal herum bis zum Rennsteig hinunter oder hinauf, rauf und runter, über Berg und Tal.
Und hier gilt es gleich noch einmal zu entwarnen oder zu enttäuschen: Mit dem schönsten Kraut, das gegen alle Miesepetrigkeit der Welt gewachsen ist, mit leichtfüßigem Humor hat er seine Heimat durchwandert und doch kein einfaches Heimatbuch geschrieben. Statt das Rennsteig-Lied zu singen, den noch immer erfolgreichsten Exportschlager aus Thüringer Landen, summt er uns eine Melodei aus halb vergessenen, halb verdrängten Kindertagen ins Gedächtnis: "Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer ..." Erinnern Sie sich? Ein kitschverdächtiges Lied, das im Westen gern zitiert wird, um die Piefigkeit des Ostens zu belegen, bei Biskupek wird es zur Umwelthymne der DDR-Kabaretts.
Von diesem Doppelblick ist das ganze Buch durchzogen: Es verklärt nicht die Heimat zum idyllischen Weltersatz, sondern entdeckt in ihr eine eigene Welt voller Widersprüche. Olitäten, so nannte man einst die Öle, Liköre und Essenzen, die vom Thüringer Schiefergebirge aus in alle Richtungen von Europa gingen. Und das im wortwörtlichen Sinne: als Buckelapotheker vertrieben die Kräutersammler ihre Schätze zu Fuß. Nicht aus Fernweh, aus Not wanderten sie von Land zu Land.
Wie es ihren Nachfahren ergeht, die in Kleinstbetrieben noch immer ihre Liköre brennen, welche Geschichten und Legenden sie einander erzählen, vom Erfinder des Kümmerlings über Wickersdörfer Wandervögel bis hin zu Rasselböcken und Hanghühnern – von alledem berichtet dieses wundersam welthaltige Heimatbuch.
Es ist nicht billig, aber von mehrfachem Wert und durchaus ansprechend gestaltet mit Bildern, die nicht nur bunt sind. Auch wenn ein paar Ortsansichten schon arg veraltet wirken. Um so lebendiger der Text, den wir, mehr als üblich, auch dem Verleger zu verdanken haben: Elmar Faber war es, der dem Autor das Wandern und Schreiben abverlangt hat. Schön, daß es so etwas noch gibt.

Matthias Biskupek. Streifzüge durch den Thüringer Kräutergarten. Verlag Faber & Faber. Leipzig 2007. 144 S., EUR 22,90