WELTPROVINZ UND KRÄUTERGESCHREY
Von Kerstin Hensel

zu Matthias Biskupek "Lob des Kalauers und andere Für- und Widerreden", Edition Ornament im quartus-Verlag / "Streifzüge durch den Thüringer Kräutergarten", Faber& Faber

In bibliophobischen Zeiten blüht – den Idealisten sei Dank - stets trutzig das Nebenzweiglein der Bibliophilie. Über diesen Zweig kann der dem Meinungsavantgardismus abholde Leser ab sofort Matthias Biskupeks im Quartus-Verlag erschienene Essaysammlung erwerben. Er wird es nicht bereuen. Sie heißt "Lob des Kalauers", herausgegeben, gestaltet und mit einem Nachwort versehen von Jens-Fietje Dwars... Fadenheftung... Englische Broschur mit weinrotem Vorsatz, Lesefaden und handmontiertem Etikett in Blindprägung... Das klingt wie eine Ingredenzienliste aus dem schön-geistigen Literatur-Bilder-Drogenalmanach "Streifzüge durch den Thüringer Kräutergarten" (Faber & Faber); welchen man sich vor, nach oder parallel zur Essaysammlung zur heilsamen Erbauung lesend infundieren kann.
Im ersten, von ernstem Schwarz ummäntelten Buch, begibt der Leser sich in Biskupeks Gedankensammlung aus zehn Jahren. Der Autor legt für die heutige Schreiberzunft rare Eigenschaften an Tag. Zuförderst: Biskupek eifert nicht, er denkt nach. Zweitens: er ist ironisch, aber kein permanenter Pointenreißer; und melancholisch, weil diese Eigenschaft zur Ironie gehört. Drittens: Hohn, Wichtigtuerei und Zynismus zugunsten der Leserunterhaltung sind Biskupek fremd. Er "kennt seine Pappenheimer", d.h. er sieht die Menschen in ihren Ver- und Entwurzelungen und verurteilt sie nicht, sondern urteilt. Die Fragen unserer jüngeren Zeit nach Patriotismus, Provinz, Heimat oder nach dem "Ostwesen", beantwortet Biskupek mit gebotenem Groll, jedoch auch mit der Vorsicht eines Mannes, der über das (Geheim)Wissen eines uneitlen Menschen-, und Sprachkenners verfügt. Die Botschaften seiner "Für- und Widerreden", gesendet vornehmlich aus der thüring'schen Kleinstadt Rudolstadt, heben sich, weil von wirklicher Essayistenkunst, ab von jeglicher Heimatblättelliteratur, die ihre Identität in Wurst&Kloß-Tümelei findet.
Wie dunnemals Goethe, im "Garten vor der Haustür" musengeküßt, in antiken Metren Liebe, Lust und Welt bedichtete, so hat Matthias Biskupek mit einem handfesten Kräutergeschrey die prosaische Antwort der Jetztzeit gegeben. Als passionierte Kräuterhexe und Sammlerin schräger Begebenheiten gerate ich bei diesem Buch ins Schwärmen. Hinter dem Titel "Streifzüge durch den Thüringer Kräutergarten", der etwas abgestanden klingt, verbergen sich großartige Sprachbotanik, Witz & Wissen, Einblicke in Biskupek'sche Leidenschaften, vergnüglichste Quacksalberei, poetische Heimatkunde und vor allem Geschichten. Diese Geschichten sind Essenzen der Geschichte, Destillate des Großen aus dem Kleinen und von zauberhafter Wirkung. Wieder einmal bewahrheitet sich die von unseren Feuilletons und verbissenen Geschichtsrackern so schwer zu begreifende Tatsache, daß sich die Historie eines Landes nicht nur aus Akten, Fakten und nackten Tatsachen speist, sondern eben aus jenen bildlichen, heiteren, bösen, schrecklichen, spießigen, weltläufigen, unheilvollen, süßen, giftigen, berauschenden, sinnigen, komisch-schrecklichen Menschenerzählungen, die uns Biskupek in seinen Kräuterwanderungen serviert. Am Ende der Lektüre möchte ich mich sofort mit einem Buckelapotheker verabreden, einen Rasselbock kaufen und ein Fläschchen Hingfong-Essenz naschen.

Kerstin Hensel