Ein Vorwort voll merkwürdiger Wörter

Ein Vorwort voll merkwürdiger Wörter
Von Matthias Biskupek

Die weite Welt beginnt im Garten vor der Haustür. Dort kann ich nach Herzenslust die schönsten Gedanken ausführen, also spazierengehen lassen. Gedanken, die herumtollen, Fangen spielen und rauswollen. Rauswollen aus dem mir von stirnrunzelnden Weltweisen eingeredeten Kreislauf von Kosten, Nutzen, Gewinnmaximierung, Verlustangst und dem täglichen Überangebot von Krisengipfeln, wirtschaftlichen Talsohlen und schlechter Laune.
Ist denn dagegen kein Kraut gewachsen? frage ich mich. Draußen, in der großen und vielleicht auch schönen weiten Welt, die im Garten vor der Haustür beginnt?
Und ob da etwas gewachsen ist! Etwas, das Lust macht. Ein Kräutlein Niesmitlust zum Beispiel, das ich vor Jahrzehnten im Märchen kennenlernte. Die Kräuterhexe, die durch alte Sagen stapfte, die ich vor Jahren hörte. Der Buckelapotheker, von dem ich jüngst wieder las, der einen ganzen Ranzen voller Geschichten hat.
Und was sind das doch für seltsame Dinge, die im Garten wachsen gleich vor meiner Haustür. Ich wohne am Fuße des "Thüringer Kräutergartens". So nennt man von altersher die ganze Gegend rings ums Schwarzatal, vom Saalebogen bis hoch zum Rennsteig. Da gibt es klingende Dinge wie Lavendel, Opodeldok und Hingfong-Essenz. Flüssigkeiten haben sehr eigene Namen: Ameisenspiritus, Fichtennadelöl. Sogar die Dörfer hören sich manchmal fremd an: Cordobang. Nein, das ist nicht im fernen Spanien. Gleich vorm nächsten Höhenrücken, bevor er steil zum Fluß abfällt, schieben sich die blauen Schieferhäuser dieses Dorfes ins Bild. Ein Ort hinter Halbewelt, zwischen Tobegraben und Muckel. Wusil und Siegmundiner gibt es hier und etwas ganz und gar Fremdartiges: den Pain-Expeller. Oder Dr. Ayris Naturheilmethode. Auch unbekannte Wesen bevölkern diesen Kräutergarten: Das Hanghuhn. Der Rasselbock. Die Querliche. Die Leute, die solche Viecher allesamt mit eigenen Augen sahen und darüber komische Geschichten von falschen Katzen erzählen können, haben sehr merkwürdige Vorfahren mit noch merkwürdigeren Berufen: Harzscharrer, Pechsieder, Balsamträger, Rußbrenner, Schwammsammler.
Fürwahr, im Garten vor der Haustür geht es verwirrend zu. Um dieser Verwirrung Herr zu werden, pflücken wir ein einzelnes Wort vom Wegrand. Das Wort heißt "Olitäten".
Jedes Wort hat in Deutschland seine Definition: "Als Olitäten bezeichnet man alle Arten von Ölen, Essenzen, Kräuterlikören und Duftwässern, welche in den Waldgegenden des Thüringer Schiefergebirges als Arzneimittel und Parfümerien fabriziert und von herumziehenden Olitätenhändlern, den sogenannten Buckelapothekern, europaweit vertrieben wurden."
Zum Glück gibt es die Definitionen, die uns aus der Zauberwelt der Gedankenspaziergänge herausreißen. Buckelapotheker und wohlriechende Essenzen wachsen folglich nicht in Sagen und Märchen, sondern in ordentlichen deutschen Definitionen.
Aus Kindern werden wir nach solchen Erklärungen wieder zu erwachsenen Leuten, die sich anschicken, den Thüringer Kräutergarten zu durchstreifen. Und doch hoffen wir, hie und da etwas zu finden, das uns verzaubert, das unerklärlich bleibt – und uns Lust auf diese Welt macht. Vielleicht die Niesmitlust.