Schraube locker


Franfurter Rundschau / Spalter
Schraube locker
Von Matthias Biskupek

Bass erstaunt ist der lesende und hörende Medienfreund immer wieder, wie sich ganz neue, ganz trendige, ganz rasante, also schnittige Sprachschönheiten durchsetzen. Der Medienfreund vermutet dahinter eine ordnende Hand, einen Großen Bruder, ein Medienkanzleramt. Erinnern wir uns an die einprägsame Formel "Butter bei die Fische". Nun aber mal Fakten, Gelder, Klartext, sollte das bedeuten. Der Spruch ist vermutlich (oder heißt es "mutmaßlich", wie bei Tätern?) von der Kieler Staatskanzlei angeordnet worden sein. Den Besten aus dem Norden reichte es irgendwann, pingeliges Kölnisch und hinterfotziges Bayerisch ohne noooddeutschen Klaaatext hören zu müssen. Umgehend wurden die Landesmedienanstalten nach Kiel geladen, bekamen ein kleines Fischbuffet spendiert und ein großes Handgeld. Fürderhin schrieb und sprach und gab alles Butter bei die Fische.
Der historisch gebildete Medienfreund weiß, dass einst die negative Sprachformung verbindlich war. Zensur heißt so etwas wissenschaftlich. Die Politikwissenschaft hat unlängst herausgefunden, dass Zensur nur in Diktaturen geübt wird, weshalb die Weimarer Republik, das Kaiserreich, die US- Militärbehörden und das bayerische Innenministerium Diktaturen sein müssen. Zurück zur nichtbayerischen Diktatur: In die Printmedien der DDR, damals Zeitungen geheißen, flatterten allmorgendlich Fernschreiben – eine altertümliche, raschelnde Form der Rundmails. Da stand: Wir verwenden derzeit nicht: "Fleisch" in allen Ableitungen und Zusammensetzungen (wg. Versorgungsmängeln), "Fußgängerboulevard" (weil kein Geld zur Sanierung derselben vorhanden) und "Großfürstentum Luxemburg" (wg. sprachlicher Nähe zu einer Andersdenkenden). Diese Fernschreiben, aneinandergehängt, waren eine treffliche Zustandsbeschreibung. Lauter Negative ergaben die letztlich positive Umwälzung der DDR, vom Mantel der Geschichte des Dr. Kohl veranlasst, was damals "Dialektik" hieß. Die neue, trendige, rasante BRD aber spricht positiv ohne veraltete Dialektik. Wir verwenden derzeit: "am Stück", "Geld in die Hand nehmen" und "nachjustieren".
Vor ein paar Jahren beschrieb man eine zeitliche Abfolge noch mit dem heute absolut unverständlichen Wort "hintereinander". Jetzt schneiden wird uns vom Zeitfleisch einen großen Happs ab. Am Stück. Früher mußte man bezahlen, überweisen, berappen, Knete vorschießen oder einen Finanzierungsplan vorlegen. Jetzt nimmt alle Welt Geld in Hand. Nicht einfach, sondern richtig. Richtig Geld in die Hand nehmen, ist die Zauberformel aus dem Zentralhaus für verbindliche Formulierung.
Die jüngste Anweisung von dort lautet "Nachjustieren". Gesetze und Beschlüsse werden nicht bearbeitet, neugefasst, verworfen, novelliert oder schlichtweg geschreddert. Nein, alles wird nachjustiert. Nie dürfte man sagen: Wir drehen an der Steuerschraube, obwohl Justieren genau dieses bezeichnet. Mit dem Wort Justieren werden beste deutsche Feinmechanikertugenden beschworen. Einst verbindliche Regierungsbeschlüsse werden nicht einfach als Blödsinn bezeichnet, sondern nachjustiert. Also ganz feinfühlig und vorsichtig in die Quatschzone eingeordnet. Kinderkrippen werden derzeit nachjustiert, also nicht mehr unbedingt nur als Indoktriniermaschinen angesehen. Sogar die Justiz muß nachjustieren: Wenn ihre Gesetze völlig in die Irre laufen, wird die geschraubte Formulierung einfach immer weiter gedreht und gewendet. Denn justiert wird so lange, bis die Schraube locker ist.