Die Akten der anderen


Franfurter Rundschau / Spalter
Die Akten der anderen
Von Matthias Biskupek

Sie sitzt mir im Zug gegenüber und hat einen silbernen Ring. Natürlich in der Nase. Natürlich tönt ihr Handy. Früher war Abhören Sache hinterlistiger Stasis, heute muss es jeder tun. Unfreiwillig. Jaaaahah, sagt Silberringlein. - Kino. - Was über die DDR. – Muss mitgehen. – Hat jetzt so viele Preise gekriegt. – Da muss ich. - Mit dem Mühe. – Muss ich.
Ich spitze die Ohren. Journalisten ist es neuerdings streng verboten, dem BND was zu liefern. Die noch ärmere Berufsgruppe der freischaffenden Schriftsteller hat noch kein Verbot bekommen. Vielleicht darf ich in diese Gesetzeslücke stoßen? (Falls BND-Mitarbeiter das lesen.) Aus den Ausrufen von Silberringlein kombiniere ich nämlich, als DDR-geschulter Mensch: Es geht um den Film "Das Leben der anderen". Mit Ulrich Mühe. Das ist jener sensible Geheimdienstoffiziersdarsteller und beste Freund von BILD-Lyriker Franz Josef Wagner, der von der eigenen Frau bespitzelt wurde. Also der Uli, nicht der Franz. Prima, wenn ein Hauptdarsteller das eigene Leben mit seiner Kunst verquicken kann und just zur Premiere endlich aus seinem Herzen keine Mördergrube mehr machen muss. Dem "Spiegel" kann er nach einem Vierteljahrhundert öffentlich sagen, dass man als Hauptdarsteller "nicht mehr vor der eigenen Geschichte kneifen darf."
Wenn Franz mit Uli Tennis spielte, war Uli nämlich nie glücklich. "Er / zuckte ständig / zusammen.", dichtet Franz. "Er erzählte mir von / einer Frau, die ihn in der / DDR bespitzelt hatte. / Das Zwitschern der Vögel / konnte ihn nicht / besänftigen." So Franzens gebrochene Zeilen. Wir Kenner (als Empfehlung für den BND) sagen dazu Enjambement.
Nun gibt es noch immer Journalisten, die nicht nur Zeilenbruch liefern, sondern recherchieren. Eine Berliner Journalistin, die sich im DDR-Film auskennt, hat Akten gelesen. Sie kennt, wie alle wir aus der DDR Kommenden, die Ex-Frau von Mühe: Jenny Gröllmann. Aus ihrer Recherche hat die Journalistin Regine Sylvester – der Name wird nachher extra für den BND geschwärzt - eine lange Zeitungsseite in einer großen Berliner Zeitung gemacht. Wer aber liest lange Berichte, wenn er alles kurz und beknackt beim jeweiligen Hoflyriker findet? Die Gröllmann, begnadete Schauspielerin am Maxim-Gorki-Theater, war 1979 mit einem "Lebenskameraden" verbandelt. άber den steht was in den Akten. Was sie nicht der Stasi, sondern einem Kripo-Mann erzählte. Der natürlich von der Stasi kam. Was sie nicht wusste. Und Mühe wusste nicht, dass sie neben der beginnenden Liebschaft zu ihm noch einen "Lebenskameraden" hatte. Das kränkt womöglich und lässt einen noch beim Vögelzwitschern mit Franz Josef unglücklich zucken und die Zeiten und die Berichte und die Lebenskameraden verwechseln. Ist ja auch so lang her. Die Gröllmann hat inzwischen Krebs und sagt Interviewwünsche ab.
In dem Bericht kommt auch der Ehemann von Jenny Gröllmann vor, also der vor Mühe, aber nicht der "Lebenskamerad" (Es war aber auch alles sehr verfickelt in der DDR!). Laut Akten der IM "Franz", ein Regisseur. Mit dem wollte ich damals einen Film machen, der "Blues-Geschichten" heißen sollte, aber unmittelbar vor Drehbeginn abgesagt wurde, (verboten klingt eigentlich besser!) weil der Hauptdarsteller im Westen geblieben war ... wenn ich das bei der nächsten Zugfahrt meinem Handy (einem Dummy, wenn Sie wissen, was ich meine) erzählen würde, vielleicht meldet sich dann endlich der BND bei mir?