Mein Aktienpaket arbeitet


Franfurter Rundschau / Spalter
Mein Aktienpaket arbeitet
Von Matthias Biskupek

Der Tag ist großartig. Die Sonne scheint großartig. Die Wirtschaftszahlen entwickeln sich großartig. Meine Bank ist überaus großartig; meine Parkbank. Ich sitze groß und breit - von der Natur so geschaffen - in der Sonne. Eine ältere Dame huscht vorbei, stolpert über meine ausgefahrenen Gehwerkzeuge. Sie macht einen possierlichen Satz, uupps, kann sich gerade noch so abfangen. Ihr Täschchen geht klapprig zu Boden. Sie selbst steht taumelnd in der Sonne.
Meine erste Reaktion: Passen Se auf, wo Se hinlatschen, junge Frau! Träumen hilft uns nicht weiter! Doch ich bin von Natur aus wohlerzogen und verkneife mir dies, sage also mit sonnigem Lächeln: Hoppla, nicht so stürmisch. Es geht auch anders vorwärts.
Die Dame hat, wie die meisten Deutschen, keinen Humor. Sie rafft ihr Täschchen und entschwindet.
Die Sonne scheint unverdrossen auf meinen Bauch, der nicht von schlechten Eltern ist. Ich kann ihn mir leisten und genieße das sich großartig entwickelnde Leben. Erstaunlich viele Leute haben Zeit, in der Sonne zu sitzen. So schlecht kann es diesem Lande wahrlich nicht gehen. Alle Parkbänke ringsum sind bevölkert. Ausgebeulte Jeans, Kopftuch, Sixpacks, gewaltige Plastebeutel. Das Leben riecht nach Sonne, Gärungsprodukten und Alttextilien.
Ein älterer Herr, Matte unterm Kinn, Matte unterm Arm, stellt sich vor mich, raunzt: Kannse mahn Stücke rückn?
Ließe sich bewerkstelligen, versetze ich aufgeräumt. Los, mach hinne, grunzt er.
Guter Mann, erkläre ich, grad bin ich dabei, in dieser Sonne und auf dieser Bank mich selbst zu verwirklichen. Viele Bürger unseres Landes, erläutere ich nachsichtig, lassen sich einfach hängen, obwohl viel getan werden muss, damit wir endlich wieder zur europäischen Spitze aufschließen. Ich zum Beispiel lasse just in diesem Moment mein Aktienpaket für mich arbeiten. Im Vertrauen: mein Aktienpaket ist nicht von schlechten Eltern. Was aber tun Sie? Sie wünschen, ich möge ein Stück von meinem sonnigen Platz für Sie freigeben. Was geschähe, wenn wir das alle machten? Dann säße bald niemand mehr in der Sonne. Was würde aus Deutschland? Wenn Leistungsträger freiwillig aus der Sonne gingen?
Der ältere Herr steht offenen Mundes vor mir. Ihm entströmen Gärungsprodukte. Sicherlich hat der Herr selten Umschulungen mitgemacht. Ihm ist meine offene, realistische Art wahrscheinlich wenig vertraut. Er tut das, was zu viele Menschen in Deutschland tun. Er glotzt.
Auch von den umstehenden Bänken wird geglotzt. Ausgebeulte Jeans glotzen. Kopftuch glotzt. Sixpack glotzt. Gewaltige Plastebeutel glotzen.
Tja, Jungs und Mädels, verkünde ich. So ist die Lage. Großartig, aber nicht unkompliziert. Unsere Regierung krempelt die Ärmel auf. Die Leistungsträger packen an. Die Stimmung steigt. Unsere Aktienpakete arbeiten rund um die Uhr. Der ältere Herr vor mir macht jetzt eine verdächtige Bewegung. Vielleicht ist er Terrorist? Meine Unschuldsvermutung lasse ich stecken, denn auch das Glotzen von den anderen Parkbänken kommt mir jetzt recht laut vor.
Im Prinzip ist Deutschland ein stilles Land. Ein friedliches Land. Ein großartiges und immer sonnigeres und südlicheres Land. In mir reift der Entschluss, jetzt doch lieber nach meinem Aktienpaket zu sehen. Plötzlich sehe ich keine Sonne mehr. Manchmal fühlt man sich hierzulande schon wie im Orient. Es wird mit einem Schlag dunkel.