Leserbrief von Wolf-Dietmar Szepan zur Kolumne in der Frankfurter Rundschau vom 1. Dezember 2004

Sehr geehrter Herr Biskupek,

ich hoffe, es hat Ihnen nicht allzu viel Mühe gemacht, die entsprechenden Stellen herauszusuchen.
Ich bin unsicher, wie weit Sie mit dem Lesen der Bibel und mit Fragen ihrer Entstehung ansonsten vertraut sind.

Wenn ja, dann müssten Sie zum einen wissen, dass der erste Teil der Bibel, die jüdische Heilige Schrift, über einen Zeitraum von fast 1000 Jahren gewachsen ist, in dessen Verlauf sich Erfahrungen und Glaubenseinstellungen auch verändern. So finden Sie zum Beispiel im 3. Buch Mose Kap. 19, Verse 33-34 äußerungen über den Umgang mit Fremden, von denen wir heute durchaus lernen könnten. Das Gebot der Nächstenliebe ist auch bereits im Alten Testament zu finden.

Zum anderen finde ich es erstaunlich, dass Sie vermutlich keinen Unterschied zwischen Judentum und Christentum kennen; soweit ich weiß, beruft sich Europa und auch Deutschland - anders als der Staat Israel- auf christliche Traditionen. Aussagen des christlichen Glaubens stehen im 2. Teil der Bibel; auch dort können Sie natürlich, wenn Sie wollen, Aussagen finden, die die Verbundenheit mit dem Zeitgeist des 1. nachchristlichen Jahrhunderts widerspiegeln, zum Teil aber auch auf dem Hintergrund damaliger Situationen verstanden werden müssen (z. B. die sehr wenigen Aussagen über Sexualität hängen auch damit zusammen, dass diese oft auch mit Verehrung von Gottheiten zu tun hatte, von denen man sich fern halten sollte). Derjenige, auf den sich Christen in ihrem Handeln berufen sollten und auf den die "christlichen Werte" zurückgehen, hat ja häufiger sich dahingehend geäußert: zu den Glaubensvorfahren wurde gesagt...ich aber sage euch. Das Gebot der Nächstenliebe ergänzt er durch das Gebot der Feindesliebe.

Auch wenn Ihre Spalte vielleicht eine entlarvende Glosse sein sollte, sollte sie dennoch inhaltlich korrekt sein und auch nicht ein Verhalten aufzeigen, das man Islamkritikern auch vorwerfen kann: dass nämlich völlig willkürlich und unkritisch Sätze aus einem Zusammenhang gerissen werden, nur um eine eigene vorgefasste Meinung zu verstärken.

Schade, dass mir dieser "Spalter" kein Vergnügen bereitet hat.

Hochachtungsvoll


Wolf-Dietmar Szepan