Matthias Biskupek: Dichters Fluch

Matthias Biskupek: Dichters Fluch
Aus dem blog von Dr. Eckhard Ullrich, 12. November 2015

Weiter vorn äußert Gerhard Holtz-Baumert seine Freude darüber, was Genosse Honecker hier über Kinderliteratur gesagt hat. Wir erinnern uns gern an den bedeutenden Kinderliteratur-Experten, der mit vollständigem Namen Erich Honecker hieß und aus dem Saarland nach einer nicht komplett abgeschlossenen Dachdeckerlehre in den ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden wechselte. Weiter hinten hat Matthias Biskupek, seit 1976 Regieassistent am Theater Rudolstadt, Diskussionszubehör vorgestellt: Die Intellektuelle, Der Abwinker, Der Naive, Das Strickliesel, Die Halterlose, Der ruhende Pol, Der Radikalinski. Man kommt rückschauend hierher. Man stellt nach Lektüre von „Dichters Fluch. Dreiunddreißig Gedichte“ fest, dass vier dieser 33 Gedichte im Heft 3 der Zeitschrift Temperamente 1980 bereits einmal veröffentlicht worden sein sollen. In diesem Heft 3 findet man fünf Gedichte, was bedeutet, dass der Herausgeber in vermutlichem Einvernehmen mit dem Dichter des anlässlich des 65. Geburtstages des Dichters nunmehr erschienenen ersten Gedichtbandes einmal strich. Es handelt sich um die Gedichte „Kurzgefasster Bettbericht“, Titel noch nicht in der hier angewendeten neuen Reformrechtschreibung, und „Anatomie, schriftlich“. Mein Zählfehler wird weiter unten aufgeklärt.
Das Heft 3 1980 verwies auf das Heft 2 1979, in welchem Matthias Biskupek sich über Wolfgang Kröber lustig machte mit mir nicht bekannten Folgen in den persönlichen Beziehungen der beiden 1950 und 1951 geborenen Autoren, von denen nur einer einen Wikipedia-Eintrag hat. Das Heft 2 1979 verwies auf das Heft 2 1978 und dort fehlen weitere Rückverweise, was darauf deutet, dass in Heft 2 1978 das Debüt Biskupeks in „Temperamente“ Platz fand. Es ist denkbar, dass die Zahl 33 bei den Gedichten mit der Zahl 66 für die Geschichten in „Der Rentnerlehrling“ einen intertextuellen Bezug herstellt, was für junge Zahlenmystiker vielleicht ein hübsches Übungsgelände abliefert. Man denke an Goethe, der alle 18 Jahre Geburtstag in Ilmenau feierte und dass die jeweils erreichten Lebensjahre eine Ziffernsymmetrie ergeben. Das in der Edition Ornament erschienene Büchlein kommt in den Farben schwarz, weiß, rot daher, was bei den bekannten politischen Affinitäten des Dichters nur ironisch gesehen werden kann. Die äußere Schwärze ist, man erinnere sich an die vergessene Strömung des Existentialismus und ihre Dresscodes, nur Signal für Intellektualität an sich, wobei das „an sich“ hier nicht direkt als Kant-Verweis zu lesen wäre. Die rote Fadenheftung ist sinnig, man kennt den roten Faden, der, wenn er verloren geht, nichts mit Ariadne zu tun hat.
In Heft 3 1980 folgten den Biskupek-Gedichten übrigens zwei von Hans-Joachim Döring, dem die Redaktion, keine Redaktion wechselte in den wenigen Jahren ihres Bestehens öfter als die der „Temperamente“, die biographische Kurznotiz verweigerte. Vielleicht verweigerte sie umgekehrt auch Döring, sie fehlt jedenfalls. In „Dichters Fluch“ findet sich ein Gedicht aus 3 1980, das in 3 1980 gar nicht gedruckt war, es heißt „Erwünschte Unbequemlichkeit“ und enthält eine Konto-Nummer. (Seite 13) Das soll kein Gemecker sein, nur wer nichts tut, macht keine Fehler, sagte bereits der Genosse Lenin. Aus dem Buch „Der neue Zwiebelmarkt“ des Eulenspiegel Verlages Berlin sind zwei Gedichte Ornament geworden: „Unsere wilde verwegene Staatsjagd“ und „Bettinaliebe“. Das älteste Gedicht kommt aus dem Jahr 1969, als der Dichter noch dem zwanzigsten Geburtstag entgegen strebte, den sein kleines Land, die DDR, in jenem Jahr bereits heftig feierte. Der Erstdruck findet sich in „Offene Fenster 4“, Berlin 1973, die Angabe des Herausgebers ist also suboptimal, es heißt „Sitzungsprotokoll“. Es war sein einziges in dieser Sammlung mit Schüler-Gedichten, verschämt gestehe ich, dass auch ich mit einem darin stehe. Und Hans Joachim Döring ist vertreten, dessen Mutter ein Postamt leitete.
Ich habe die 33 Gedichte hintereinander weg gelesen, was ich selten tue, eigentlich nie, aber es ist für mich eine Art Abbitte, denn die 66 Geschichten „Der Rentnerlehrling“ habe bis dato nur selektiv beknabbert, weil das Leben hart ist. Es sind allerhand spielerische Gedichte drin, manche Spielerei ist nur neckisch. Was mir prinzipiell sympathischer ist, als wenn der Tiefsinn aus den Bindestrichen dünstet. Matthias Biskupek ist ein Mann der Kleinkunst, selbst wenn er Romane schreibt, was er glücklicherweise seltener tut als die anderen 80.000 Autoren der Bundesrepublik Deutschland. Bisweilen liest es sich auch leicht krampfig, was entfiele, wenn die Ironie nicht ganz so versteckt bliebe. Man will halt auch mal ein dreieckiges Gedicht geschrieben haben oder eins, wo jede Zeile viermal wiederholt wird. „Italien siegt über Deutschland“ freut sich vermutlich tatsächlich über diesen Sieg, das Gedicht ist datiert wie einige wenige andere auch, 23 Gedichte in einer Anstaltsnacht wie bei Klabund sind beim Dichter Biskupek eher nicht zu erwarten, dem Klabund sonst sicher sehr sympathisch ist. Ich bekenne schon hier meine Freude, das es mir gelungen ist, allerhand Zeilen zu füllen, ohne den Versuch zu machen, diese 33 Gedichte auf irgendeinen anderen gemeinsamen Nenner zu bringen als den, der der Autor ist. Mir gefällt „Die Schuldfragenantwort“ am besten. Die drei Zeichnungen von Kay Voigtmann gefallen mir auch.