Die Buchkolumne aus dem Eulenspiegel Heft 8-2007
Paare bis Kommunismus


von Matthias Biskupek

"Nun musste er fortfahren, zu wollen, was er gestern gewollt hatte". Derlei Sätze machen sich gut. Sie machen sich gut als Motto Nr. XXI. Auf Motto Nr. 40 (XL) folgt übrigens Motto XXL, denn dies ist, wie wir zu formulieren wissen, ein Gäääg. All das macht sich am allerbesten in einem Buch, das düster und schwierig und leicht und flockig und also literarisch für die breite Masse der eingeweihten Literaturstudenten daherkommen will. Kenner bekommen herausgefunden (sprachl. Gäääg), dass der Eingangssatz vom Mann (Thomas) stammt und Goethe (Wolfgang) mit "Die Wahlverwandtschaften" ebenfalls Buch-Pate ist. Das Werk selber aber muss, um Erfolg zu haben, in einer Art verfasst sein, die an die wirkliche Welt erinnert: An die Drehbuch-Fernsehwelt zwischen Serie und dramatischer Mitternachtskunst. Die kennt Lang (Thomas) und breitet sie mit vielen Regieanwei-sungen ("Pablo hat einen kleinen Zweig in die Hand genommen. Er zerknickt ihn mehrfach zwischen den Fingern, bevor er antwortet.") im Roman Unter Paaren (C.H. Beck) aus. Nein, wir knicken nicht den Stab (heißt das nicht eigentlich "brechen"?) über diesen Roman, sondern teilen mit, dass vier Menschen, ½ männl., ½ weibl., gr. Probl. miteinand. haben u. sehr mod. Kleid. am Leibe tragen, dabei 3,2 Liter Hubr. m. MercedesCard bewegen, sowie wohlschm. Nahrungs- u. Genussmittel sich einverleiben, welche Lang (Thomas) so gut beschreiben kann, als habe er neben Literatur auch Design, Önologie, Vier-Sterne-Koch-Kunst, Porsche-Wissenschaft und die Bunte studiert. Wir nehmen hochachtungsvoll einen kleinen Stefan Zweig in die Hand und machen einen Knicks.

"Die Worte schossen heraus wie Flammen aus einem Schneidbrenner, wütend, fauchend, scharf." So zischt es nur selten in He-lena von Zweigbergks Krimi Im Schatten der Sünde (Fischer Ta-schenbuch). Denn die Ich-Erzählerin ist Gefängnispastorin in Stockholm und stets zu Mäßigung, Vergebung und Selbstverleug-nung bereit. Dennoch bekommt das Ganze zunehmend Tempo und Spannung (Übersetzung Dagmar Lendt) – im Knast scheint eine Un-schuldige zu sitzen, dauernd regnet es während der Mittsommer-zeit und wie die Liebe unter Pastoren abläuft, wird zart ange-deutet. Mit einer Fahrt nach Gotland, einem bärbeißigen Poli-zisten und einer großen Schlussabrechnung in einem verlassenen Fabrikgebäude – in deutschen Tatort-Krimis sind das immer alte VEB’s – wird Frau Pastor jedoch tief ins böse, drogenversumpfte mit strindbergschem Hass angereicherte schwedische Leben gezo-gen. Hier kann man lesen, wie es wirklich unter Paaren zugeht.

"Warum den Managern der Aufbruch nicht gelingt" erklärt Gunnar Hick in seinen Porträts wichtiger, in Deutschland Ost wirkender Leute. Eliten in Ostdeutschland (Ch. Links) sollten jene Poli-tikschwafler lesen, die uns seit anderthalb Jahrzehnten erklären, wie die westdeutsche Welt beschaffen ist, und weshalb Ost-deutsche dort eigentlich nichts bewirken können. Unter den vierzehn Befragten (u. a. Matthias Platzeck, Christine Lieberknecht, Sergej Lochthofen) sind auch einige Zugewanderte. Zwei davon, der thüringische Innenminister Karl-Heinz Gasser und der MDR-Chefredakteur Wolfgang Kenntemich, haben auch nach vielen Jahren nichts vom Osten begriffen. Dies deutlich gemacht zu haben, ist einer der Verdienste von Hick, der im übrigen auch zugewandert ist.

Biographien alter Männer, die mit dem Kommunismus Probleme hatten, gefällig? Die eine, Wolfgang Mattheuer, Einblicke (Buchverlag für die Frau), erzählt von dem 2004 Verstorbenen sehr kurz und schlicht das, was wir eigentlich wissen: Er war ein Bildermacher von Rang, der leider auch schlechte Gedichte und schlichte Weisheiten aufschrieb. In den Achtzigern bekam er Na-tionalpreis und Ehrenbürgerwürde, 1988 trat er aus der SED aus - und nach 1990 auch aus allerlei Akademien. Darüber hätte man gern mehr Einblick haben wollen - doch das freundlich gemachte Bilder-Buch misst nur 100 x 65 x 11 Millimeter. Sehr viel aus-führlicher erzählt der noch lebende Slawomir Mrozek seine Auto-biographie Balthasar (Diogenes). Nun war das Buch ihm Therapie – Mrozek verlor nach einem Schlaganfall für lange Zeit das Sprechvermögen - dennoch muss ein solcher Text, zumal wenn er von dem begnadeten Erfinder herrlich komischer Stückwerke stammt, ein paar Anforderungen genügen: Klarheit, Wahrheit, etwas Humor. Die Klarheit leidet darunter, dass lang und breit erklärt wird, Mrozek hieße jetzt Balthasar – doch in seinen Lebenserinnerungen heißt er immer und überall nur Mrozek und Slawomir. Die Wahrheit ist wohl die, dass der Autor durchaus ein wenig dem Sozialismus-Kommunismus anhing, sonst hätte er ihn nicht so gnadenlos und großartig in seinen Stücken sezieren können. Doch immer wieder bemüht er, uns zu erklären, dass Kom-munismus abscheulich, besonders für gute Polen, ist. Vielleicht muss man in Krakow, wo Mrozek nach jahrelanger Emigration seit 1996 wieder wohnt, so schreiben, um nicht von den Zwillingen durchleuchtet zu werden? Am traurigsten aber ist, dass im Buch wenig Humor spürbar ist. Das mag auch an der Übersetzung durch Marta Kijowska liegen, der womöglich verboten wurde, polnischen Humor ohne Genehmigung durch Mr. Bush ins Deutsche zu exportieren. Bei ihr verkehren Züge nicht, sondern "kursieren". Hotelzimmer werden nicht bezogen sondern "adaptiert". Gebirgsschützen heißen "Bergartillerie" und Röhrenradios "Lampenapparate". Ein Schelm könnte meinen, dass diese altertümlichen Wendungen womöglich Slawismen sind und bei der Übertragung ins Russische nicht auffielen, doch ließe sich Schlimmeres denken, als die wunderbare polnische Sprache ins Russische hinabzuzerren? Bolek und Lolek kämen sogleich und riefen: Nu pagadie, Slawomir! MATTHIAS BISKUPEK