Die Buchkolumne aus dem Eulenspiegel Heft 7-2007
Erbschaft bis Prinzessin


von Matthias Biskupek

Unser Zeitalter hat bereits Scharen von "Wenderomanen" hervorgebracht, obwohl immer mal wieder DER GROSSE DEUTSCHE WENDEROMAN gefordert wird, womit eine Beschreibung der 89er "Kehre" (Copyright: Uwe Steimle) gemeint sein könnte. Nun gibt es erneut ein Zweihundertfünfzigseitenbuch, das just die Jahre 1988-1990, mit einem Epilog 15 Jahre später vorführt. Die Erbschaft (Das Neue Berlin) von Rolf Floß hat einen berückenden Plot, der eigentlich längst zum Fernsehfilm geworden sein müsste – doch Floß hat nicht den Namen, auf den TV-Produzenten anbeißen.
Ein braver DDR-Kader mit Widerstandspotential (Kulturnik) wird ohne Mittun zum jährlichen Dollarmillionenerbe. Natürlich ist der devisenhungrige Staat daran interessiert, dass er sein Geld in all jenen Errungenschaften ausgibt, die wir heute nur noch als fernes Leuchten wahrnehmen (Intershop, Genex, Exquisit). Da nach des Erben Ableben das verbliebene Kapital einer australischen Altmännerriege zukommen soll, ist der Staat an der Unversehrtheit seines Devisen-Esels interessiert: Er bekommt Annehmlichkeiten und exotische Genehmigungen, ja sogar einen Gärtner mit Gattin, die natürlich der "Gärtnerinnung" angehören. Gleich höre ich die Pawlowschen Reflexwiderstandskämpfer: Unerhört! Wie kann man die verbrecherische DDR-Geheimstaatspolizei als "Gärtnerinnung" verharmlosen?
Floß entwickelt viele Handlungswege, die mitten durchs Dresdner Umland führen, aus seinem Gedankenmodell "Sozialismus mit Westgeld" heraus. Das macht manche Passagen etwas länglich, das lässt den Hauptheld ständig in Umschreibungen auftreten: "Der Besitzer von Westgeld", "Der gewesene Gruppenleiter" "Der im Staatsapparat Großgewordene" und auch der Gärtner spricht in bürokratischen, wohl satirisch gemeinten Wendungen, die vielleicht nicht mal die Stasi erlaubte. Dennoch sollten Fernsehfutterproduzenten mal zwei Blicke ins Dresdner Nachwendeleben und eines in dieses Buch tun.

Was "Frommser" waren, wusste einst jedes Kind, ob in Stalinstadt oder Wolfsburg zu Hause. Denn lange blieb der Spruch populär: "Wenn’s dich packt – nimm Fromms Act". Einen Geschichtsunterricht dazu bieten Götz Aly und Michael Sontheimer mit ihrer Dokumentation "Wie der jüdische Komdomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel". Fromms (S. Fischer) ist der anschauliche Titel – und anschaulich, wenn auch im elften Kapitel mit viel zu vielen Zahlen, wird hier eine deutsche Geschichte erzählt: Die vom russischen Juden, der in Berlin zunächst sein Glück findet, dann mit deutscher Penetranz und buchhalterischer Perfidie enteignet wird. Julius Fromm ist aber auch ein ganz gewöhnlicher Kapitalist, der eben nicht nur durch eigner Hände Arbeit reich geworden ist. Wieso zwei Männer, die doch irgendwann mal in 68er Manier über die kapitalistische Aneignung des Mehrwertes tönten, jetzt ihr Hochschulwissen aus übergroßer politischer Korrektheit nicht mehr anwenden möchten, verwundert etwas.

"Da ich an Weihnachten aber rituell riesige Mengen rohen Fleisches zu mir nehme, die ich unter irrem Gelächter herunterzuwürgen pflege, konnten der liebenswerte Weltall-Veganer und ich nicht zusammenkommen." Das ist ein Satz von Sarah Kuttner, deren Gequassel durchaus anregend beim Verdauen, daneben auch von einer gewissen Munterkeit ist. Gedruckt wirkt es leider, um es Sarah Kuttner verständlich zu machen, wie gequirlte Scheiße. Nicht alles, was im Buntfernsehen hübsch anzuhören ist, muss gedruckt werden und auch nicht alles, was in Zeitungsjugendbeilagen gedrückt wird, muss dann noch zum Buch werden, selbst wenn es einen Titel hat, der in jener Sprache, in der man "an Weihnachten" sagt, "flippig" heißt: Die anstrengende Daueranwesenheit der Gegenwart (Fischer Taschenbuch).

Die deutsche Kultur besitzt einen Bühnen- und Märchendichter, der ziemlich einsam auf seiner Mahagoniwolke im Himmel thront: Peter Hacks. Auf Erden tummeln sich derzeit ein paar seiner Lehrlinge, die auch ganz hübsche Dinger verfertigen können. Einer davon heißt Albert Wendt und jenes Märchen, das er von Maria Blazejovsky illustrieren ließ, würde von Hacks gewiss gnädig und amüsiert gelesen werden. Prinzessin Zartfuß und die sieben Elefanten (Jungbrunnen) ist die Geschichte des ziemlich dicken Mädchens Hermine – das ist nicht sooo originell – die mit einem Dirigenten, ihrem Onkel Lysander, einem Chef-durch-und-durch, einem Kranräuber und weiterem merkwürdigem Personal im Wortsinne Berge versetzen kann. Dabei ist auch ein freundlicher Herr, der aussieht, als ob er aus einem vergessenen Buch geklettert sei. Ob dies Albert Wendt ist, wird nicht verraten. An einer Stelle hingegen heißt es: "Leute, wir wollen jetzt alle mal für ein paar Minuten nicht kleinlich sein." Diesen Satz müßte sich jeder Rezensent nach jedem Lesen eines jeden Buches sagen – aber da des Rezensenten Beruf Kleinlichkeit einschließt, müssen wir an dieser Stelle krümelkackerisch verkünden: Leute, das ist nichts anderes, als ein großes, ein wunderbares und zu Herzen gehendes Buch.