Das Dankeschön für den Walter-Bauer-Preis,
verliehen am 4. November 2016 im Kulturhaus Leuna.

Wenn man als Mensch & Wörterfreund in höherem Alter seinen ersten echten und sehr schönen Literaturpreis erhält, muss man sich fragen: Habe ich etwas falsch gemacht in meinem Leben? Oder manches ganz richtig? Normalerweise loben und bepreisen ältere Herrschaften junge und hoffnungsvolle Leute, die Anerkennung und Preisgeld dringend brauchen. Auch ich lobte und pries jahrzehntelang; oft saß ich in Jurorenrunden. So hielt ich beispielsweise 2010 eine Laudatio auf junge Dichter aus Hessen und Thüringen. Unter den Preisträgern: Florian Liesegang, damals Marburg. Der ist auch im Hier & Heute; wundersam und wunderschön berühren sich Preisträgerlinien. Wenn ich nun aber als ältere Herrschaft von einer jüngeren und mir sehr lieben Kollegin eine schmeichelhafte Rede bekomme, und die auch noch als Hör-Spiel daherkommt, so hat all das zufälligerweise mit meinem Wörter-Verständnis, mit meiner Biographie, mit dem Namensgeber Walter Bauer und seiner Biographie, mit dem schlichten Arbeitsleben, dem mittleren Deutschland und dem komplizierten Weltverlauf zu tun. - Ordnen wir diese Gemengelage mal, wofür es das wunderbare Wort auseinanderklamüsern gibt. Wörter und deren Klang haben mich schon immer fasziniert, selbst wenn ich zunächst solches weder schreiben noch definieren konnte. Doch als Teenager kaufte ich mir von selbstverdientem Geld ein Tonbandgerät. Das nutzte ich nicht nur, um Musik vom Westradio zu klauen, sondern auch zum Draufreden, mir ins Wort fallen, für Hall und Nachhall. Das halbe hundert Radiostücke, meist Features mit original den Leuten von der Straße abgelauschten Wörtern und Klängen, die ich viele Jahre lang quasi immer nebenher zwecks Lebensunterhalt für den MDR oder Deutschlandradio produzierte, mag einer heimlichen Liebe aus jener frühen Magnettonbandzeit entsprungen sein. Eine meiner ersten, so um 1965 auf- und ausgesprochenen Geschichten auf jenem „B4“ genannten Teil hieß: „Sonntagmorgen eines Zeitungsträgers“. Denn ab vierzehn trug ich allsonntäglich Zeitungen aus, das gab jedes Mal zwischen acht und zwölf Mark, die in Tontechnik angelegt werden konnten. Und was hat Walter Bauer als ganz junger Mensch gemacht? Zeitungen ausgetragen. Seine „Stimme aus dem Leunawerk“ beginnt: „Wort durch Radio“. Weil ich Sie weder mit Walter Bauers noch meinen versteuerten und unversteuerten Verdiensten langweilen will, springe ich gleich ans Ende von Walter Bauers Literaturleben in Deutschland, bevor er sich Kanada zum Endziel suchte. Da war er Schatzmeister vom westdeutschen PEN-Klub. Was bin ich seit fünf Jahren und noch für ein paar Monate? Schatzmeister unseres nun gesamtdeutschen PEN-Zentrums. Walter Bauer hat sich vor selbstverfassten Gedichten nie gescheut. Mit derlei Poesiestücken habe auch ich mich beschäftigt, sie aber eher sparsam der Welt in die Ohren geblasen. Das war vielleicht keine schlechte Tat. Weil der gute Walter Bauer aber mitten aus dem mitteldeutschen Sprachmischmasch kommt – ein wahrlich schönes Wort – begrenzt vom Ursächsischen, Urthüringischen, Ur-Anhaltischen – Mundarten, die es gar nicht gibt – ich aber diesem unserm Mitteldeutschland gern seine Sprachen ablausche, wüsste ich gern: Wie hat Walter Bauer gesprochen? Hörte man ihm das Merseburgisch an? Der Leipziger Richard Wagner sächselte, was zu seinem germanschen Wagelaweia eigentlich gar nicht passte. Nietzsche, aus mitteldeutschem Ursuppentopp, war in Schulpforta wohl am hochdeutschen Wesen genesen, seine Grammatik passte aber zunächst noch in die Naumbürgerei, mir und mich hibbsch verwechselnd. Walter Bauer, Kenner und Freund des Italienischen, wohnte schließlich inmitten der englischen Sprache. Doch lebte in ihm noch sein Ur-Klang, das mitteldeutsche Wort? Tonaufnahmen vermelden eine klare, leise, hohe hochdeutsche Stimme. Doch bemühen wir uns nicht alle um Hochdeutsch, wenn ein Mikrofon auftaucht? Nicht jedem – und jeder - ist es gegeben, so wie Kerstin Hensel, in fehlerlosen Satzkonstruktionen doch immer den Unterton einstiger Sprachheimat anklingen zu lassen. Damit bin ich schließlich bei Obertönen: dem Dank an die Laudatorin, die Jury, den guten Geist von Walter Bauer, nämlich Janko, an Bürgermeisterin und die Parlamente von Leuna und Merseburg, die trotz knapper Kassenlage den Preis mit Geld versahen. Darin sind sie Schriftstellern ähnlich: Deren Kassenlage ist immer knapp. Doch als Schriftsteller ist man auch Schatzmeister. Der Schatz heißt Sprache, Stimme, Untertöne und viele schöne Widersprüche.

Matthias Biskupek