Jens-F. Dwars
Ein kleiner Bischof mit scharfer Zunge
Zum 60. Geburtstag von Matthias Biskupek

In mir haust das luftige Gen der Slawen." So gesteht Matthias Biskupek in dem Band Die geborene Heimat, einer Sammlung seiner Essays der neunziger Jahre. Sein Versuch einer Entschuldigung, dass er nicht ganz so brav und bieder ist, wie man es von einem deutschen Autor erwarten darf. Zumal von einem lustigen, der seit 1982 für den Eulenspiegel schreibt.
Nein, Biskupek ist kein Spaßmacher, kein "Comedian", wie die Hofnarren der Mediengesellschaft sich nennen, die dem König Kunde einen Gag nach dem andern ins Ohr stopfen, bis er nicht mehr weiß, ob er lachen oder weinen soll mit so viel Müll im Kopf.
Satiriker würde er wohl eher gelten lassen, laut Großwörterbuch der neuen deutschen Rechtschreibung ein "Spötter, Verfasser von Satiren", welch letztere man mit "beißendem Witz" zu übersetzten pflegt. Es handelt sich also um einen bissigen Autor. Auch wenn seine Texte leicht und locker erscheinen, sind sie doch oft mit Spreng-Sätzen unterminiert, die länger im Magen liegen, als ihr schneller Konsum vermuten lässt. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie nicht Ihren Arzt oder Apotheker, die sind gewöhnlich genauso machtlos gegen den Biss eines Satyrs.
Von diesen seltsamen Fabelwesen war noch die Fantasie der Alten erfüllt, der ganz alten, an der Wiege des Abendlandes. Von bocksbeinigen Gestalten erzählten sie ihren Kindern, halb Mensch, halb Tier, die in Wäldern hausten, derbe Zoten, Musik und andere Genüsse liebten. Wesen, in deren Angesicht sich der Mensch der Antike mit seiner tierischen Herkunft versöhnt hat. So folgte im klassischen Athen auf drei Tragödien je ein heiteres Satyrspiel, um die auf der Bühne erlebten Schrecken ertragbar zu machen und die Sinne wieder für das Weiterleben zu öffnen. Lachen, das weiß der wahre Satiriker, ist die erste Medizin, die der Mensch erfand, als er den Mut hatte, sich selbst, seine eigenen Abgründe im Spiegel zu erblicken. Lebensnotwendig ist das Verlachen unserer ewig unzufriedenen Zwitternatur, die es nach oben, in abstrakte Geisteshöhen, und zugleich nach unten, in die Lüste des Fleisches zieht.
Ob man zum Satiriker geboren wird? Ich weiß es nicht, Biskupek jedenfalls macht ein slawisches Gen für seinen Hang zur undeutschen Lach- und Lebenslust verantwortlich. Womit er sich in bester Gesellschaft befindet. Auch ein Friedrich Nietzsche wollte lieber Pole sein, um einer Fröhlichen Wissenschaft zu frönen. Im Unterschied zu dem unglücklichen Philosophen, der vor Schmerz ins Lachen floh, stammen die Vorfahren des Matthias Biskupek tatsächlich aus dem Schlesischen. "Bischöflein" heißt sein Name im Polnischen: ein höchster Würdenträger des Glaubens in niedlicher Verkleinerung. Und nicht minder reich an Brüchen ist seine Lebensgeschichte: 1950 in Chemnitz geboren, wurde er Maschinenbauer, studierte in Magdeburg Kybernetik, war Systemanalytiker im Chemiefaserwerk Schwarza und kam über das Theater Rudolstadt zum Geraer Kabarett Fettnäppchen, bis er 1984 auf eigene Rechnung zu schreiben begann.
Die typische Biographie eines "Ost-Wesens", wie er selbst die Überlebenden eines verschollenen Staatsgebildes nennt, die früh gelernt haben, mit den Unebenheiten des Lebens produktiv umzugehen. Und vielleicht ist es doch kein Zufall, dass er ausgerechnet in Thüringen heimisch wurde, jener waldreichen Gegend, die Nietzsche als die gefährlichste Deutschlands schien. Denn nirgends gäbe es so viel Freigeisterei, die sich hinter harmlos bescheidener Dienstbeflissenheit verberge. Angenehm verdorben sei der Thüringer: "... wir ziehn selbst, um zur Wahrheit zu gelangen, noch Schleichwege vor". Mit unbändiger Lust an der Doppelmacht der Sprache, die Dinge beim Namen zu nennen und zugleich mit ihnen zu spielen, schärft dieser Bischof der Thüringer Literatur unsere Sinne für die Mehrdeutigkeiten beider – der Dinge und der Sprache. Die treue Gemeinde seiner Leser und Glaubensbrüder dankt und gratuliert ihm zu 60 Jahren slawischer Ungeduld mit ungezählten Wünschen. Der wichtigste: möge er noch viele Sendschreiben aus der Rudolstädter Schillerstraße in die Welt schicken – mit dem nötigen Biss.